Es ist der fünfte Tag, an dem Joana V. in dem Schaufenster in der Falckensteinstraße 37 sitzt. Auf den Straßen ist am Montagmorgen nicht viel los, aber so gut wie jeder, der an dem Fenster vorbeiläuft, bleibt kurz stehen oder schaut zumindest verdutzt hinein. Eine Frau hält inne und lächelt Joana V. an. Die ergreift sofort die Chance. „Hast du eine Wohnung?“, ruft sie durch die offene Tür hinaus. „Leider nein, aber ich kenne dich aus den Medien“, antwortet die Fußgängerin. „Deine Aktion ist super, mach weiter so!“
Joana V. sucht verzweifelt eine Wohnung im Wrangelkiez in Kreuzberg. Das sei ihr Zuhause; ihre Wahlheimat, wo die gebürtige Mecklenburgerin nun seit mehreren Jahren glücklich wohnt und so schnell nicht mehr wegwill. Weil jedoch das Untermietverhältnis ihrer Wohnung plötzlich und grundlos gekündigt wurde, ist sie mit der aussichtslosen Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt konfrontiert.
Alles, was sie auf den üblichen Foren an Angeboten im Kiez findet, ist viel zu teuer. Das Maximum, was sie im Monat für Miete ausgeben kann, sind 550 Euro. „Ich suche nur 30 bis 40 Quadratmeter“, sagt sie, „und habe keine utopischen Ansprüche wie etwa einen Balkon.“ Trotzdem finde sie in der gewünschten Gegend seit Monaten nichts. Die einzigen bezahlbaren Angebote seien sogenannte Tauschwohnungen. Hierbei bieten Mieter ihre Wohnung nur zum Tausch gegen eine andere an. Joana V., die ja nur zur Untermiete wohnt, hat nichts, was sie tauschen könnte.
Kontakte sind alles
Als der Auszug naht, überlegt sich Joana V. etwas Neues. Von 12 bis 20 Uhr sitzt sie im Fenster einer Kunstgalerie in ihrer Nachbarschaft. Die betreibenden Künstler sind Freunde von ihr und haben ihre Räumlichkeiten sofort zur Verfügung gestellt. „Das war eine ganz spontane Aktion“, sagt die 35-Jährige, die sich auf diesem Weg vor allem mit möglichst vielen anderen Kiezbewohnern vernetzen wollte. „Meiner Erfahrung nach findet man nur eine Wohnung, wenn man jemanden kennt, der einen kennt, und so weiter.“
Das Schaufenster des Ateliers Hermann hat Joana V. provisorisch zu einer Art Wohnzimmer umfunktioniert. Ein Sessel steht auf der Auslage, daneben ein kleines Tischlein, auf dem Lesestoff zum Zeitvertreib liegt. Außerdem ist sie ringsum von Plakaten umgeben. „Suche Wohnung“, „Nicht euer Casino“ oder „Keine Verdrängung – Stadt für alle!“ steht in Großbuchstaben von außen gut lesbar auf ihnen geschrieben.

„Der Wohnungsmarkt ist sehr prekär, es gibt einfach keinen bezahlbaren Wohnraum mehr“, so Joana V. Mittlerweile hätten selbst besserverdienende Berufe wie Ärzte oder Anwälte Probleme bei der Wohnungssuche; um Menschen, die in der Pflege, bei der Post oder als Erzieher arbeiten, stehe es noch schlechter. Ihren eigenen Beruf möchte Joana V. nicht nennen. „Einen Makler kann ich mir nicht leisten“, sagt sie nur.
Mehr und mehr Kiezbewohner würden von den Wohnungsgesellschaften und der Politik an den Rand der Stadt gedrängt. Was im Szenekiez allerdings massenhaft angeboten werde, seien Ferienwohnungen. Die würden an Touristen teilweise für mehrere Hundert Euro pro Nacht vermietet – eine Goldgrube für Vermieter und Untergang für jene Menschen, die dauerhaft eine Bleibe in Kreuzberg brauchen. „Das kann einfach nicht sein.“

„Vermiete nur an junge Mädchen“
Ihre Suche auf Internetportalen wie Immoscout oder Ebay sei nicht nur vergebens gewesen, sondern ernsthaft erschreckend. „Der Wohnungsmarkt ist sexistisch und rassistisch“, sagt Joana V., darüber müsse dringend mehr gesprochen werden. Nicht nur einmal habe sie unter Angeboten Mietbedingungen wie „Vermiete nur an junge Mädchen“ gelesen. „Das ist schrecklich und ekelhaft.“ Sie habe die Anzeigen immer sofort gemeldet.
In den fünf Tagen Protest nahmen mittlerweile zahlreiche Leute von der Aktion Notiz. Auf Instagram und Twitter kursieren überall Fotos von ihr. Das Erstaunliche: An Wohnungstipps erhielt sie bis jetzt noch nicht viel Brauchbares. „Gestern habe ich einen ersten heißen Tipp bekommen“, sagt sie, sie wolle sich allerdings noch nicht allzu viel Hoffnung machen.

Manche Stimmen begegnen ihr auch mit Unverständlichkeit: Warum Joana V. sich nicht flexibler zeigt und nur auf den Wrangelkiez beschränkt, können viele nicht verstehen. Das ist laut der 35-Jährigen Teil des Problems: „Das ist mein Zuhause, das hat nichts mit Szene zu tun“, sagt sie, „ich kann zwar verstehen, wenn Leute darüber lächeln, allerdings sind solche Reaktionen Symptome dieses unmöglichen Markts.“
Das Feedback von Nachbarinnen und Nachbarn aus der Gegend hingegen sei ausschließlich positiv. Sie zeigt auf eine Vase mit frischen Blumen. „Die habe ich zu meinem ‚Einzug‘ im Atelier geschenkt bekommen.“ Auch die Nachbarschaftsorganisation Bizim Kiez veröffentlichte zur Unterstützung eine Pressemitteilung über Joanas Kunstaktion.



