Serie Lieblingsorte

Die Bammelecke – ein Ort, an dem ich die Seele bammeln lassen kann

Köpenick ist der wald- und wasserreichste Bezirk Berlins. Bestes Beispiel: die Bammelecke. Das autofreie Badeparadies erreicht man am besten mit der Uferbahn.

Die Straßenbahnlinie 68 gilt als die schönste Strecke Berlins. Sie ist auch als Uferbahn bekannt. Sie fährt am Langen See vorbei, der Regattastrecke, dem Strandbad Grünau, der Bammelecke.
Die Straßenbahnlinie 68 gilt als die schönste Strecke Berlins. Sie ist auch als Uferbahn bekannt. Sie fährt am Langen See vorbei, der Regattastrecke, dem Strandbad Grünau, der Bammelecke.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Zugegeben, ich bin keine Freundin des öffentlichen Nahverkehrs. Auch das gekaufte 9-Euro-Ticket hat es nicht geschafft, in den vergangenen zehn Wochen meine Vorurteile gegenüber Bussen und Bahnen abzubauen und den Autoschlüssel einfach mal liegen zu lassen. Denn meist, wenn ich mit meinem Mann, der ein eifriger Nutzer des ÖPNV ist, auf eine S-Bahn warte, geschieht irgendwas. Die Bahn kommt nicht, weil ein Signal gestört ist. Die Tram, in der wir sitzen, ist defekt und muss aus dem Verkehr gezogen werden. Das heißt, auf die nächste, dann meist überfüllte Bahn zu warten. Oder ein Notarzteinsatz bringt das System zum Stillstand.

Allerdings gibt es bei den Öffentlichen eine Ausnahme, die ich selten, dafür aber umso lieber nutze. Eine Straßenbahn, mit der ich schon in jungen Jahren gefahren bin und die mich noch heute an einen meiner Lieblingsorte bringt. Dabei handelt es sich um Berlins schönste Straßenbahnstrecke – die Uferbahn zwischen dem S-Bahnhof Grünau und Alt-Schmöckwitz. Zu DDR-Zeiten war es die Linie 86, sie wurde nach der Wende „gewendet“ – zur heutigen 68.

7,8 Kilometer lang ist die Strecke. Sie verläuft durch Wald und entlang des Ufers von Langem See und Dahme. Mehr als einmal stand sie vor dem Aus, weil die Sanierung im Trinkwasserschutzgebiet aufgrund hoher Auflagen zu viel kosten sollte. Doch Anwohner machten sich immer wieder für den Erhalt der Linie stark – zuletzt 2011 mit einer Menschenkette, an der 3000 Leute teilnahmen. Mit Erfolg.

Zum Glück. Vor allem im Sommer ist die 68 besonders an den Wochenenden bei den Abkühlung suchenden Innenstadtbewohnern sehr begehrt. Menschentrauben, die die S-Bahn in der City aufgenommen und in Grünau ausgespuckt hat, harren dann mit bereits aufgeblasenen Pelikanen oder Schwänen an der Straßenbahnhaltestelle. Bereit, mit ihren Schwimmtieren sofort in See zu stechen. Ihr Ziel: das Strandbad Grünau, das drei Stationen weiter liegt.

Wer die Strecke wirklich genießen will, der sollte die Bahn am besten an Werktagen nutzen – und mit mindestens einem Zwischenstopp. Die 110 Jahre alte Tramlinie schlängelt sich zunächst durch den Grünauer Forst, um dann an der geschichtsträchtigen Regattastrecke mit ihrer Regattatribüne herauszukommen.

Vorbei geht es an Bootshäusern – Ruderklubs, Kanuvereine, Drachenbootbetreiber, die gefühlt schon immer dort ansässig waren. Die Regattastraße gehört den Sportvereinen, und eigentlich darf auf den attraktiven Wassergrundstücken nur für den Sport gebaut werden.

Schon am frisch sanierten Strandbad leert sich die Bahn etwas. Wer allerdings Lust auf ruhige, naturbelassene Badestellen hat, der sollte noch eine Station weiterfahren. Zur Bammelecke. Die Bahn rattert durch den Wald dorthin. Durch die Baumstämme schimmert bereits verlockend das nahe Wasser.

Auf dem breiten Asphaltweg, der neben der Uferbahn verläuft, sind ein paar Radfahrer unterwegs. Auch Fußgänger können hier gefahrlos flanieren. Denn für Autofahrer ist die Straße gleich hinter dem Strandbad zu Ende. Metallpoller versperren den Fahrzeugen den Weg.

An der Haltestelle Bammelecke bleibt die Uferbahn nur in der Sommersaison stehen. Ein zwei Meter breiter Waldweg führt direkt zur Badestelle der Bammelecke, die wie ein Kap in das Wasser hineinreicht. Der Bereich für Badelustige ist mit Tonnen vom Schiffsverkehr abgetrennt, der Sandstrand von hohen Kiefern umgeben. Das Wasser ist noch angenehm kühl. Ab und zu tuckert ein Motorboot vorbei. Ein paar Schritte weiter befindet sich das FKK-Gebiet.

Wie die Bammelecke zu ihrem Namen kam

Wie oft bin ich hier in den See gesprungen, wie oft habe ich hier gesessen, ein gutes Buch gelesen. Schon als jugendliche Kanutin habe ich beim Training vom Wasser aus die Badenden an der Bammelecke beneidet. Ich musste schwitzen, sie durften sich abkühlen.

Manchmal aber sind auch meine Trainingskameraden und ich ins seichtere Wasser gefahren, probten im Rennkajak die Kenterrolle. Als meine Sportkarriere beendet war, blieb ich der Bammelecke treu. Hier konnte man schon immer bei einer Straßenbahn- oder Fahrradtour mal kurz ins Wasser hüpfen. Gedanken, warum die Bammelecke eigentlich Bammelecke heißt, habe ich mir nie gemacht.

Bis ich mit Helgunde Henschel gesprochen habe. Sie kommt im Sommer jeden Tag zum Schwimmen dorthin. Ein schöner Strand sei das, und man habe einen wunderbaren Blick auf das andere Ufer – mit Müggelbergen und Müggelturm, erklärt sie. Henschel, promovierte Philologin, mag die ruhige Stimmung an der Bammelecke, die Schiffe, die vorübertuckern. „Ein Ruder-Achter ist ein sehr ästhetischer Anblick“, schwärmt sie.

Helgunde Henschel ist Mitglied des Köpenicker Heimatvereins und hat nachgeforscht, woher die Bammelecke ihren Namen hat. Es gebe einige Versionen, die nicht stimmten, sagt sie. Etwa, dass sich jemand dort an einem Baum „aufgebammelt“ habe.

Richardplatz, mon amour!

Von Marcus Weingärtner

30.07.2022

Oder dass die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) bei Gewitter einen Ballon zur Warnung der Schiffsführer hochgezogen, also aufgebammelt haben soll. „Die Bammelecke gibt es viel länger als die DLRG“, sagt Henschel, um dann die richtige Geschichte des Namens zu erzählen.

Im 19. Jahrhundert segelten die Schiffe von Schlesien nach Berlin, sie brachten Baumaterial und Lebensmittel. Bevor der Oder-Spree-Kanal gebaut wurde, gab es an der Stelle eine starke Strömung, weil das Gewässer um die Ecke floss und die Schiffer „Bammel“, also Angst, hatten, die Kurve nicht zu kriegen.

Den ersten Nachweis des Namens gab es nach ihren Worten von einem Reporter, der 1868 erwähnte, dass eine Segelwettfahrt von Köpenick zur Bammelecke geführt habe. 1905 sei der Name Bammelecke erstmals in einem offiziellen Dokument erschienen.

Rechts und links der Bammelecke führt ein Waldweg direkt am Ufer entlang. Langsam füllen sich auch die kleineren, wilden Badestellen mit Familien, die Picknickkörbe dabei haben, oder mit Menschen, die einfach nur die Ruhe des dahinfließenden Wassers genießen wollen. Ich finde für mich noch eine andere Begriffserklärung, als ich mich am Ufer niederlasse. An diesem Ort kann man die Seele richtig baumeln, also bammeln lassen.