Kolumne Ostbesuch (8)

Der Tag, an dem Björn Höcke einfach die Nationalhymne vergaß

Geht es nach dem neuen Buchstabieralphabet, ist Zwickau so ziemlich das Letzte, was Deutschland zu bieten hat. Doch die Stadt zeigt auch Herz im Kampf gegen Nazis und Hetze.

Von Berlin nach Chemnitz, 263 km, ein Ostbesuch
Von Berlin nach Chemnitz, 263 km, ein OstbesuchBerliner Zeitung/Pajović/Amini

Und dann hat Höcke einfach die Nationalhymne vergessen. Das kann dem rechtschaffensten Patrioten mal passieren – aber einem offen praktizierenden Faschisten mit Anspruch auf die Führerposition im Lande?

Nach einer Marktplatzhetzrede, die mit „Liebe Landsleute, liebe Freunde der Freiheit“ begonnen hatte und mit „Es lebe Sachsen, es lebe unser deutsches Vaterland, es lebe das wahre Europa“ zu Ende gegangen war, wollte Höcke jedenfalls gleich wieder weg aus Zwickau, aber dann erreichte ihn doch noch die Ansage auf halber Fluchttreppe: „Danke, lieber Björn, du kannst gleich auf der Bühne bleiben.“ Denn: „Wie es sich für jede gute AfD-Veranstaltung gehört, singen wir noch mal zum Abschluss unsere Nationalhymne – um den da drüben zu zeigen, wie man richtig Lieder singt.“ Die da drüben, das waren die Gegendemonstranten, die sich am anderen Ende des Zwickauer Domplatzes versammelt hatten.

Geht es nach dem neuen Buchstabieralphabet, ist die Robert-Schumann-Trabanten-Stadt Zwickau so ziemlich das Letzte, was Deutschland zu bieten hat. Wer etwa „Zwangsgebühren“ oder „Verfassungsschutz“, „Zschäpe“ oder „Nationalsozialistischer Untergrund“ buchstabieren will, kommt an Zwickau nicht mehr vorbei. Und wer tatsächlich mal hier vorbeikommt, findet im Schwanenreichpark meist nur die großen Flora-und-Fauna-Tafeln, die über den Rohrkolben-Röhricht oder den Hauhechel-Bläuling informieren. Die kleinen Gedenktafeln für die Opfer des NSU sucht man eher vergeblich.

Das rechte bis rechtsextreme Wählerpotenzial ist groß in Zwickau, und wer es für seine Partei abschöpfen will, muss eben auf die Bühne, selbst bei Schnee und Kälte. So wie der thüringische AfD-Landeschef und Gastredner Björn Höcke unter dem Motto „Zwickau heizt ein“. Der „Heiße Herbst“ ist ja zu Ende, „Wutwinter“ is coming – und falls die Leute wie zuletzt immer öfter daheim bleiben, statt montags auf die Straße zu gehen, dann wird irgendein AfD-Alliterationsarschloch den „Frustfrühling“ ausrufen, bevor der „Scheißsommer“ kommt.

Gekommen, um zu hetzen: Björn Höcke vor dem Zwickauer Dom.
Gekommen, um zu hetzen: Björn Höcke vor dem Zwickauer Dom.Paul Linke

Die AfD hatte eine Kundgebung für 1500 Menschen angemeldet und mit 2500 gerechnet, es wurden knapp 500, meist männlich, meist älter, manchmal mit Russlandfahnen und fast immer mit nur einem Lösungsvorschlag für all die Probleme: „Diese Regierung muss weg!“ Ein Rentner präzisierte: „Diese Regierung muss schnell weg!“ Hatte der Höcke ja auch so ähnlich gesagt.

An einem Tag mehr: die Zwickauer Zivilgesellschaft.
An einem Tag mehr: die Zwickauer Zivilgesellschaft.Paul Linke

Etwa 1000 Menschen waren zur Gegendemonstration gekommen, Motto „Zwickau zeigt Herz“. Sie waren mehr an diesem Tag, bildeten eine Menschenlichterkette, sangen Friedenslieder, keine Nationalhymne. Wer „Zivilgesellschaft“ oder „Toleranz“ buchstabieren will, muss eben auch Zwickau sagen. Und wer selbst sehen will, wie diese Stadt sich wehrt, sollte sich den 27. Januar vormerken, wenn die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau sich jährt und der bundesweite Gedenktag zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus in Zwickau stattfindet. Im Programm: das Konzert „Kein Bock auf Nazis – 100 Kilo Herz“.

Eindeutig Erster ist Zwickau übrigens im Trabi-Menschen-Tetris. Anfang des Jahres gab ein Rekordrichter bekannt: „Nach gründlicher Sichtung und Prüfung der Videodokumentation erkennen wir die neue Bestmarke mit zwanzig Personen im Fahrzeug an.“ Zwanzig anschmiegsam arrangierte Frauen in einem Trabant 601, um genau zu sein. Leider ist nicht überliefert, ob oder was sie dabei gesungen haben.


In der Kolumne „Ostbesuch“ berichtet Paul Linke alle zwei Wochen aus seinem Zwischenleben in Chemnitz und Umgebung. Sachsen sucks? Von wegen!