Kolumne

Ostdeutsche Identität: Wie die DDR bei einer „virtuellen Zeitreise“ aussieht

Mauer, Mauer, Mauer und zwischendurch rollen Panzer: Unsere Kolumnistin macht eine Zeitreise zurück in die DDR und wundert sich.

Eine Zeitreise ins geteilte Berlin mit der virtuellen Brille.
Eine Zeitreise ins geteilte Berlin mit der virtuellen Brille.Bernd Friedel/imago

Der Krieg war gerade vorbei. Der Zweite Weltkrieg. Ich stand zwischen den Trümmern am Brandenburger Tor. Ein Panzer war zu sehen, ein Stahlhelm lag auf dem Boden. Als ich mich umdrehte, sah ich ein großes Stalin-Plakat, über dem rote Fahnen wehten, sie leuchten in der grauen Umgebung. Drei Menschen standen davor und betrachteten den Diktator.

Möchtest du nicht eine Zeitreise in die DDR machen?, hatte mich mein Kollege gefragt. Eine Firma in Berlin biete das jetzt an. Man könne es auf einem Pressetermin ausprobieren, und er habe gleich an mich gedacht. Erst bekam ich einen Schreck. Gelte ich in der Redaktion als Ostalgikerin? Ich war noch nie im DDR-Museum oder bei der Ostproduktemesse. Geschweige denn auf einer Trabisafari.

Dann dachte ich an die Debatte um das Buch der Historikerin Katja Hoyer, die eine neue Geschichte der DDR hatte schreiben wollen, um den Streit darum, ob ihr Buch „Diesseits der Mauer“ die DDR verharmlost. Ich hatte das überhaupt nicht so empfunden, weil Hoyer auch von Polizeistaat, Mauer und Stasi schreibt, aber ich war verunsichert.

Zeitreise in die Ost-Berliner Vergangenheit mit der Virtual-Reality-Brille.
Zeitreise in die Ost-Berliner Vergangenheit mit der Virtual-Reality-Brille.TimeRide

Vielleicht könnte mir eine Zeitreise helfen, dachte ich. In der Einladung zum Termin stand, dass auch eine Frau von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur kommen würde. Da konnte mit dem Geschichtsbild nichts schiefgehen.

„Leute aus dem Osten reagieren emotionaler“

Das Unternehmen, dass die Zeitreise anbietet, heißt TimeRide. Ich fuhr zu einem Laden in der Nähe vom Checkpoint Charlie. Ein Tourist probierte vor einem Stand Mützen, die nach Roter Armee aussahen. TimeRide hat schon drei andere Touren im Programm, erklärte mir Andreas Voigt, der Chef der Berliner Filiale. Eine heiße „Berlin 1985“ und spiele auf beiden Seiten der Mauer. „Leute aus dem Ostteil reagieren viel emotionaler“, sagte Voigt. Es seien schon Ostdeutsche weinend aus der Tour gekommen. Aber manchmal gebe es auch Ärger. Die Autos seien im Osten nicht so dreckig gewesen wie in der Version, die TimeRide erstellt habe, muss er sich dann anhören.

Mauerfall 1989
Mauerfall 1989TimeRide

Um die Zeitreisen zu machen, setzt man eine dicke Virtual-Reality-Brille und Kopfhörer auf. Voigt riet mir zum Glück, mich mit einer Hand an einer Säule festzuhalten. Die Technik ist so beeindruckend, dass ich fast in der virtuellen Welt losgelaufen wäre.

Von den Kriegstrümmern am Brandenburger Tor flog ich in die Kriegstrümmer von Dresden. Dann war schon der 17. Juni 1953, der Volksaufstand, vorm Brandenburger Tor stand ich zwischen Demonstranten, über eine Straße rollten Panzer auf mich zu. Dann sah ich zu, wie die Mauer gebaut wurde, vor düsterem Himmel. Dann stand ich an einer breiten Straße in Dresden, an einem Gebäude wartete eine Gruppe Junger Pioniere, während mir der Erzähler der Zeitreise das DDR-Wohnungsbauprogramm vorstellte. Ich besuchte eine Neubauwohnung, WBS 70, die aussah, wie ich mir Wohnungen in einem DDR-Museum vorstelle, und in der sich außer mir keine Menschen aufhielten. Ich stand auf dem Todesstreifen der Mauer, bei einer Freiheitsdemo in Dresden und vor dem Brandenburger Tor am Tag des Mauerfalls. Da lief eine Happy-End-Melodie.

Es gibt einen Koffer mit den Brillen für Schulklassen. Jugendliche sollen per Zeitreise an das Thema emotional andocken können, erfuhr ich. 14 Minuten DDR. Die kompakte Version vom Mauerstaat, in dem die Menschen um Freiheit kämpften, wenn sie nicht Panzer fuhren. Aus meiner Kindheit in Ost-Berlin erkannte ich nichts wieder, aber darauf kommt es nun wirklich nicht an.