Kolumne

Das Drogenkartell, meine DDR-Erziehung und ein Anruf von Europol

Telefonbetrüger: Wie mich Officer Miller von Europol anrief und ich ihm von meiner Mutter und meinem Wochenendgrundstück in Brandenburg erzählte.

Officer Miller erklärte, bei Europol würden alle englisch sprechen, es handele sich um eine internationale Organisation.
Officer Miller erklärte, bei Europol würden alle englisch sprechen, es handele sich um eine internationale Organisation.imago/Westend61

Vor ein paar Tagen hörte ich ein Telefonat eines Kollegen mit. Bei uns im Großraum hört man alles. Es gibt keine Trennwände, die Akustik ist schlecht. Ich mag das, nach zwei Jahren Homeoffice. Man kann sich schlecht konzentrieren, aber man ist unter Leuten und lernt viel. Über die Kollegen. Und die Welt.

Es ging um eine Meldung, Außenpolitik. Das Wort Europol fiel. Und: Kokain. Und: Drogenbosse. Ich hielt die Luft an. Ich hatte das Gefühl, der Kollege redet über mich. Und über Mr. Miller.

Alles gestohlen: Daten, Passwörter, Konten

Es war im Juni. Mein Telefon klingelte, auf dem Display erschien eine deutsche Handynummer. Als ich ranging, forderte mich eine Frauenstimme auf, die 1 zu drücken und mich verbinden zu lassen. Mein Name sei bei Ermittlungen von Europol aufgetaucht. Die Stimme sprach englisch. Genau wie Officer Miller, der mir erklärte, dass meine „identity“ gestohlen worden sei und für Drogengeschäfte genutzt würde. In Afghanistan, den Niederlanden, Kolumbien. Jetzt, in dieser Sekunde, würde mein Name von Kartellen benutzt, Hacker hätten auf alles Zugriff, persönliche Daten, Passwörter, Konten.

Es klang furchterregend. Aber warum rief Europol von einer deutschen Handynummer an und sprach englisch mit mir? Officer Miller erklärte, bei Europol würden alle englisch sprechen, es handele sich um eine internationale Organisation.

Aber, gab ich zu bedenken, was machen Sie, wenn meiner Mutter, die kein Wort Englisch spricht, die „identity“ gestohlen wird? Statt mir zu antworten, fragte er: An was für Computern ich arbeite, ob es Auffälligkeiten gab? Mr. Miller wirkte sehr professionell. Er diktierte mir seine Dienstnummer. Sein Englisch hatte einen leichten indischen Akzent.

Was?!, sagte mein Mann später. Mr. Miller und indischer Akzent? Warum ich da nicht gleich misstrauisch wurde?

Indien war mal britische Kolonie, sagte ich kleinlaut. Ich verteidigte Mr. Miller. Denn anfangs, muss ich gestehen, glaubte ich ihm. Mein Laptop ist sieben Jahre alt, und im Internet werden ständig Daten gestohlen. Außerdem werde ich in Situationen, auf die ich nicht gefasst bin, seltsam obrigkeitshörig. Marco Wanderwitz, der ehemalige Ostbeauftragte, würde sagen, meine DDR-Erziehung ist schuld.

Fast eine Stunde telefonierte ich mit Mr. Miller. Mein Bankkonto war sein Ziel. Ich sollte ihm Geld überweisen, damit die Drogenbosse nicht meine Konten leer räumten. Aber noch war ich nicht so weit. Ich forderte ihn auf, von einer deutschen Festnetznummer anzurufen und mich mit seinem Chef zu verbinden. Der Chef hatte den gleichen Akzent wie er. Er hieß Mr. Smith. Da wurde ich misstrauisch. Als Mr. Miller ankündigte, morgen stünden zwei Europol-Officer vor meiner Tür, sagte ich, morgen sei schlecht, da sei ich auf meinem Wochenendgrundstück in Brandenburg.

Brandenburg?, fragte er.

Bande von Telefonbetrügern festgenommen

Ich glaube, das war der Moment, in dem er merkte, dass sein Einsatz vergeblich war. Wir verabschiedeten uns wie gute Bekannte. Ich dachte nicht mehr an ihn, bis ich von der Razzia hörte, vom Schlag gegen das „Superkartell“. Spanien, Belgien, die Niederlande waren beteiligt. Es klang, als würde Mr. Miller wieder zu mir sprechen, mir sagen, dass er es geschafft hatte, auch ohne meine Hilfe.

Dann las ich noch eine Meldung: Die britische Polizei hat eine Bande von Telefonbetrügern festgenommen, Männer, die Technik verkauften, um gefälschte Anrufe zu tätigen. Im Namen von Regierungsbehörden, Banken – und Europol.

Ich frage mich, wie es Mr. Miller geht.