Viele Verhandlungstage sind vergangen, ohne dass sich die beiden Brüder zum Tatvorwurf, ihre Schwester ermordet zu haben, vor Gericht geäußert hätten. Und auch dieser 30. Prozesstag um den gewaltsamen Tod der 34-jährigen Maryam schien zunächst nichts Aufsehenerregendes zu bringen. Ein Ermittler sprach als erster Zeuge über die Durchsuchung der Wohnung des angeklagten Mahdi H. in Neukölln, bei der weder Blutspuren noch Tatwerkzeuge gefunden worden seien. Dabei sollen Mahdi und Yousuf H. ihrer Schwester vermutlich dort die Kehle durchtrennt haben.
Doch dann die Wende, die sogar den Richter überraschte. Yousuf H. bricht sein Schweigen, legt vor Gericht ein Geständnis ab. In seiner Erklärung, die zweieinhalb DIN-A4-Seiten füllt, spricht der 27-Jährige von einem tödlichen Streit. Er habe am 13. Juli vorigen Jahres seine Schwester aus Wut so lange gewürgt, bis sie tot gewesen sei. Allerdings sagt er auch, dass er nicht vorgehabt habe, Maryam zu töten.
Yousuf H. lässt seinen Anwalt die Erklärung verlesen. Darin schildert er, was passiert sein soll: Er sei am 12. Juli des vergangenen Jahres von seinem bayerischen Wohnort Donauwörth nach Berlin gekommen, um für seine Schwester und deren zwei Kinder eine Wohnung zu finden. Dafür sei er schon mit einer Maklerin in Kontakt getreten. Außerdem habe er noch Sachen, die er bei seiner Schwester Maryam gelagert habe, mit nach Bayern nehmen wollen.
Am Tattag, dem 13. Juli, schickte Yousuf H. eigenen Angaben zufolge über Western Union zunächst 400 Euro an seine Familie in Afghanistan. Insgesamt sollten sie 5000 Euro bekommen, damit seine Eltern und seine andere Schwester nach Deutschland kommen könnten, so der Angeklagte.
Dann habe er sich mit Maryam an einer Straßenbahnhaltestelle an der Landsberger Allee getroffen. Seine Schwester wollte ins vietnamesische Zentrum (gemeint ist das Don-Xuan-Center in Lichtenberg, d. Red.) fahren, um dort einen preiswerten Koffer zu erwerben. Doch das Zentrum sei geschlossen gewesen. Deswegen hätten sie den Koffer bei Primark am Alexanderplatz gekauft und seien anschließend in die Wohnung ihres jüngeren Bruders Mahdi H. in der Reuterstraße in Neukölln gefahren.
Mahdi habe gerade sein Zimmer geputzt, sei dann rausgegangen. Vielleicht um eine Zigarette zu rauchen. „In dem Zimmer meines Bruders kam es zu einem Streit zwischen meiner Schwester und mir“, erklärt Yousuf H. Maryam habe es nicht gepasst, dass er Geld an die Eltern nach Afghanistan geschickt habe und nun auch noch selbst etwas dazugeben sollte. „Dieser Streit wurde in der Wohnung ziemlich heftig“, so der Angeklagte. Maryam wollte, dass ihre Schwester und deren Kinder nach Deutschland kommen, nicht aber ihr Vater und ihre Mutter.
Ich dachte, sie ist ohnmächtig. Ich wollte sie nicht töten.
Maryam H. habe geäußert, dass es ihr egal sei, ob sie in Gefahr seien. „Sie war böse auf unsere Eltern, sie benutzte schlimme Worte, die mich wütend machten. Ich fand das respektlos.“ Er habe seine Hand auf ihren Mund gelegt, sie an den Schultern gepackt, mit ihr „gerangelt“ und schließlich ihren Kopf unter seinen Arm genommen. Als Kinder hätten sie oft so gekämpft, nie sei etwas Schlimmes geschehen, liest der Anwalt vor.
Aber diesmal, fährt er fort, sei Yousuf H. so in Wut geraten, dass er den Hals seiner Schwester fest zudrückte. Eine Minute, vielleicht zwei Minuten habe das gedauert. Bis der Körper seiner Schwester schwer geworden, sie zu Boden gesackt sei. „Ich dachte, sie ist ohnmächtig. Ich wollte sie nicht töten.“
Maryam H. atmete nicht mehr, rührte sich nicht mehr. „Dann wurde mir klar, dass sie gestorben war“, heißt es im Geständnis des Bruders. Er erklärt, dass er in Panik geraten und auf die Idee gekommen sei, seine tote Schwester zu sich nach Hause nach Donauwörth zu bringen – in jenem Koffer, den seine Schwester gerade noch bei Primark gekauft hatte. Aber sie passte nicht hinein. Ihr Kopf war zu groß. Er schnitt mit dem Messer hinein, „einmal am Hals“ und legte das Kopftuch der Toten über die Wunde.
Der Angeklagte entlastet in seinem Geständnis Mahdi H. Er berichtet, dass sein Bruder plötzlich wieder im Zimmer gestanden und gefragt habe, was los sei. „Mahdi wollte einen Arzt rufen“, so Yousuf H. Er habe aus Angst vor dem Gefängnis seinem Bruder verboten, Hilfe zu holen und ihn mit dem Messer bedroht.
Yousuf H. sagt, dass er dann Klebeband und eine Tüte gesucht und seinen Bruder aufgefordert habe, ihm zu helfen. Mahdi, der sich zunächst geweigert habe, die tote Schwester anzufassen, zog sich Gummihandschuhe an, die er zuvor beim Putzen getragen hatte. Yousuf H. berichtet, dass er Klebeband und Tüte über das Gesicht seiner Schwester legte, „damit ich es nicht sehen muss“. Seinen Bruder beauftragte er, Streifen vom Klebeband abzureißen.
Schließlich habe man Hände und Füße der Schwester mit Klebeband umwickelt und die Tote in den Koffer gelegt. Jetzt passte ihr Körper hinein, aber der Koffer war zu schwer. Das zumindest behauptet Yousuf H. Deshalb musste sein Bruder mit nach Donauwörth kommen. Mit einem Taxi fuhren sie zum Bahnhof Südkreuz. Dort will Yousuf H. das Messer in einen Mülleimer geworfen haben. Am Nachmittag fuhren die Brüder mit dem ICE nach Bayern, den Koffer hatten sie bei sich.
Maryam H. hatte sich von gewalttätigem Ehemann scheiden lassen
Während der jüngere Bruder am nächsten Tag nach Berlin zurückkehrte, vergrub der Ältere die Leiche. „Ich bereue meine Wut, die zu der Verletzung und schließlich zum Tod meiner Schwester geführt hat, aufrichtig. Was passiert ist, tut mir sehr leid“, lässt er seinen Anwalt vorlesen.
Yousuf, 27, und Mahdi H., 23, müssen sich am Landgericht Berlin wegen gemeinschaftlichen Mordes an ihrer Schwester Maryam H. verantworten. Sie sollen die Mutter von zwei Kindern umgebracht haben, weil sie die sogenannte Ehre ihrer archaisch geprägten afghanischen Familie beschmutzt haben soll. Maryam H. hatte sich von ihrem gewalttätigen Ehemann, mit dem sie im Alter von 16 Jahren zwangsverheiratet worden war, scheiden lassen und in Berlin einen anderen Mann kennengelernt. Zudem soll sie dem westlichen Lebensstil nicht abgeneigt gewesen sein.
Ihre Brüder hatten sie wochenlang kontrolliert und ihr den Umgang mit anderen Männern verboten. Sie sollen auch gewalttätig gegenüber Maryam H. geworden sein. Das berichteten ihre beiden Kinder als Zeugen vor Gericht. Der 14-jährige Sohn und die zehnjährige Tochter von Maryam H. sind in dem Verfahren Nebenkläger.
Die Ermittler kamen durch Aufnahmen aus der Überwachungskamera am Bahnhof Südkreuz darauf, dass Mahdi und Yousuf H. ihre ermordete Schwester im Koffer aus Berlin gebracht haben könnten. Bei ihrer polizeilichen Vernehmung hatten die beiden Brüder jedoch bestritten, mit dem Tod der Schwester etwas zu tun zu haben.



