Prozess um sogenannten Ehrenmord

Angeklagter Mahdi H.: Im Koffer war Kleidung und nicht die Leiche der Schwester

Im Prozess um den gewaltsamen Tod von Maryam H. in Berlin wird die polizeiliche Vernehmung ihres Bruders gezeigt – trotz Einwänden der Verteidigung.

Der Angeklagte Mahdi H. soll zusammen mit seinem Bruder seine Schwester Maryam H. umgebracht haben.
Der Angeklagte Mahdi H. soll zusammen mit seinem Bruder seine Schwester Maryam H. umgebracht haben.Imago/Olaf Wagner

Der junge Mann wirkt in der polizeilichen Vernehmung recht selbstbewusst. Er wackelt in dem Drehstuhl, der den beiden Ermittlern und dem Dolmetscher gegenübersteht, hin und her. Manchmal lächelt er, wenn er eine Frage beantworten muss. Nach etwa 20 Minuten sagt er, er habe jetzt selbst mal eine Frage. Wenn jemand eine solche Straftat begangen habe, warum sollte derjenige so verrückt sein, im Land zu bleiben? Die Kriminalhauptkommissarin, die vor ihm sitzt, antwortet ruhig: „Es gibt viele Möglichkeiten. Entweder hat derjenige kein Geld oder keine Gelegenheit, ins Ausland zu gehen. Oder er fühlt sich sehr sicher.“

Der junge Mann, der die Frage gestellt hat, ist Mahdi H. Am Mittwoch wird das Video seiner polizeilichen Vernehmung im Gerichtssaal gezeigt. Die Straftat, von der er in dem Film spricht und die ihm in der Vernehmung vorgeworfen wird, ist der gewaltsame Tod seiner Schwester Maryam H.

Der 23-Jährige und sein vier Jahre älterer Bruder Yousuf H. verfolgen das Video aufmerksam. Sie sitzen auf der Anklagebank, müssen sich derzeit wegen Mordes verantworten. Ihnen wird vorgeworfen, am 13. Juli vorigen Jahres ihre 34 Jahre alte Schwester Maryam ermordet und ihre Leiche in einem Koffer nach Bayern geschafft zu haben – an den Wohnort von Yousuf H. Das mögliche Motiv der Tat: Die afghanische Familie von Maryam H. soll mit deren westlichem Lebensstil nicht einverstanden gewesen sein und sich in ihrer Ehre verletzt gefühlt haben.

Die Vernehmung von Mahdi H. ist vom 3. August vergangenen Jahres. An diesem Tag wurde der junge, hagere Mann erstmals als Beschuldigter vernommen. Zu dieser Zeit galt Maryam H., die mit ihren zwei Kindern in einem Flüchtlingsheim in Berlin gelebt hatte, seit drei Wochen als vermisst. Sie hatte nach Angaben ihres Freundes am 13. Juli einen Termin mit ihrem älteren Bruder, der ihr angeblich in Berlin eine Wohnung zeigen wollte. Die Ermittler gingen davon aus, dass Maryam H. an jenem Tag einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist.

Mahdi H. wird in der Vernehmung ein Video gezeigt. Es zeigt ihn mit seinem älteren Bruder am Bahnhof Südkreuz mit einem großen, schweren, ausgebeulten Rollkoffer. Die Anklage geht davon aus, dass die Brüder in dem Gepäckstück ihre tote Schwester transportierten, die Leiche in einem ICE nach Donauwörth, dem Wohnort von Yousuf H., brachten.

Mahdi H. bestritt, im Zug mitgefahren zu sein

Was das für ein Koffer gewesen sei, wollen die beiden Ermittler in dem Vernehmungsfilm wissen. Der Koffer habe Yousuf gehört, erzählt Mahdi H. Klamotten seien darin gewesen. Was sonst. „In eine Koffer passt doch kein Mensch“, sagt Mahdi H. dann mit gelassenem Ton.

Warum sei der Koffer dann so schwer gewesen, fragen die Kripo-Beamten. Mahdi H. sagt, dass das Gepäckstück defekt gewesen sei und es sich nicht rollen ließ. Deswegen habe er seinem Bruder auch geholfen, den Koffer zum Bahnhof zu schleppen. Mitgefahren im Zug sei er nicht, er habe an dem Tag noch einen Termin mit seinem Betreuer gehabt.

Diese Angaben wurden im Prozess bereits durch den Betreuer widerlegt. Er hatte erklärt, mit Mahdi H. an dem fraglichen Tag kein Treffen vereinbart zu haben. Zudem hatte die in Bayern lebende Lebensgefährtin von Yousuf H. ausgesagt, dass die beiden Brüder mit dem Koffer am Abend des 13. Juli im ICE im Donauwörth eingetroffen seien. Sie habe sie vom Bahnhof abgeholt.

Die Lebensgefährtin war es auch, die die Ermittler zwei Tage nach der Vernehmung von Mahdi H. zu einem kleinen Waldstück unweit von Donauwörth geführt hatte. Am 5. August vorigen Jahres fanden die Beamten dort die verscharrte Leiche von Maryam H. Die Frau war erwürgt und gedrosselt worden, die Kehle durchtrennt. Der Kopf steckte in einer blauen Plastiktüte, die im Hals mit Panzerband umwickelt war. Zudem waren Mund und Nase der Frau verklebt worden.

Unter dem Klebeband soll die abgerissene Fingerkuppe eines Einweghandschuhs gesichert worden sein – mit der DNA von Mahdi H. Am kommenden Verhandlungstag sollen dazu DNA-Experten gehört werden.

Im Prozess schweigen die beiden Angeklagten. Die Verteidiger von Mahdi H. hatten bereits vor Prozessbeginn ein langes und konfliktreiches Verfahren angekündigt. Es werde der Staatsanwaltschaft schwerfallen, die angeklagte Tat zu beweisen, sagten sie. In der Anklage ist weder der Tatort benannt noch die Tatwaffe.

Am Mittwoch hatten sie zunächst der Verwertbarkeit der Videovernehmung von Mahdi H. widersprochen und beantragt, den Film nicht zuzulassen. Sie argumentierten, dass ihr Mandant nicht ordnungsgemäß als Beschuldigter belehrt worden sei. Der Antrag wurde abgelehnt.