Amtsgericht Tiergarten

Radfahrer in Berlin totgerast: Angeklagter erscheint wieder nicht, Prozess platzt

Bernd Wissmann wurde Anfang 2020 von einem BMW erfasst, der viel zu schnell war. Er starb. Der mutmaßliche Raser meldet sich krank, erscheint wieder nicht vor Gericht.

Dort, wo Bernd Wissmann starb, wurde ein weißes Geisterrad aufgestellt.
Dort, wo Bernd Wissmann starb, wurde ein weißes Geisterrad aufgestellt.Sabine Gudath

Es ist das zweite Mal, dass Anatoliy K. nicht vor Gericht erscheint. Ein erster Anlauf im September vorigen Jahres vor dem Amtsgericht Tiergarten platzte. Der Angeklagte war gesundheitlich nicht in der Lage, zum Prozess zu kommen. Und auch an diesem Dienstag, neun Monate später, bleibt der Platz neben seinem Anwalt frei. Anatoliy K. habe sich am Morgen krankgemeldet, teilt der Vorsitzende Richter mit. Ohne den Angeklagten könne der Prozess nicht beginnen.

Die Verhandlung gegen den 34-Jährigen, der sich wegen fahrlässiger Tötung und Gefährdung des Straßenverkehrs vor Gericht verantworten muss, wird ausgesetzt. Anatoliy K. soll vor mehr als drei Jahren mit seinem Auto einen Radfahrer getötet haben.

Kopfschütteln bei den Zuschauern der Verhandlung, Kopfschütteln vor allem bei den Verwandten des getöteten Radfahrers, seiner Witwe, seinen beiden erwachsenen Kindern. Vor der Saaltür wird bekannt, dass Anatoliy K. offenbar unter Bluthochdruck und Schwindel leidet und sich deshalb hat krankschreiben lassen.

Für Ruben Lagies ist Bluthochdruck kein gravierender Grund, nicht zum Verfahren zu erscheinen. Er vermutet, dass der Angeklagte sich dem Verfahren offenbar nicht stellen wolle. „Das ist in meinen Augen Taktik“, sagt der 40-Jährige. Dem hochgewachsenen Mann ist anzumerken, wie aufgewühlt er ist. Er müsse erst einmal verdauen, dass der Prozess zum zweiten Mal geplatzt sei, sagt er dann.

Der Angeklagte möchte sich dem Verfahren offenbar nicht stellen. Das ist in meinen Augen Taktik

Ruben Lagies, Sohn des getöteten Radfahrers

Ruben Lagies ist der Sohn von Bernd Wissmann, der am 7. Februar 2020 auf der Kantstraße in Berlin-Charlottenburg von einem Auto erfasst und getötet wurde. Der 64-Jährige war an jenem Tag mit dem Fahrrad von seinem Büro zum Bahnhof Zoo gefahren, um eine Fahrkarte zu kaufen. In wenigen Tagen wollte der Architekt nach Frankfurt am Main reisen. Auf dem kurzen Rückweg geschah es.

Ruben Lagies ist der Sohn des getöteten Radfahrers.
Ruben Lagies ist der Sohn des getöteten Radfahrers.Katrin Bischoff

Gegen 14.45 Uhr soll Anatoliy K. mit seinem 600-PS-starken BMW viel zu schnell auf der Kantstraße, auf der Tempo 30 galt, unterwegs gewesen sein. Er habe den Wagen in Höhe des Savignyplatzes auf mehr als 70 Kilometer pro Stunde beschleunigt, dann mit hoher Geschwindigkeit einem Transporter ausweichen müssen und das Fahrzeug rechts überholt, so die Anklage. Dabei sei sein Auto ins Schlingern geraten und habe den Radfahrer erfasst, der in dieselbe Richtung auf der Busspur unterwegs gewesen sei.

Bernd Wissmann, ein Zwei-Meter-Mann, soll zunächst auf die Motorhaube, dann rund 37 Meter weit auf die Fahrbahn geschleudert worden sein. Dabei erlitt er ein Polytrauma und einen Genickbruch. Er konnte noch reanimiert werden, verstarb jedoch wenig später im Krankenhaus.

Lagies erinnert sich, dass damals sein Handy geklingelt habe. Er habe die Nummer nicht gekannt und sei nicht an sein Telefon gegangen. Er habe nach einem langen Arbeitstag – Lagies ist Tischler – seine Ruhe haben wollen. Erst als seine Schwester anrief, nahm er ab, hörte, dass ihr Vater tot sei. Später erfuhr er, dass das Krankenhaus versucht hatte, in zu erreichen. „Ich konnte doch nicht ahnen, dass so etwas Schreckliches passiert ist“, sagt er.

Lagies sagt, sein Vater sei ein lebenslustiger Mensch gewesen. Er und seine Frau hätten sich gerade auf den ruhigeren Lebensabschnitt vorbereitet. „Sie hatten noch so viel vor“, sagt der Sohn. Dann sei sein Vater so plötzlich aus dem Leben gerissen worden.

Anatoliy K., der Mitinhaber eines Pflegedienstes sein und bereits zahlreiche Verkehrsdelikte begangen haben soll, hat sich nach Angaben von Ruben Lagies bisher nicht ein einziges Mal bei der Familie gemeldet, nie um Verzeihung gebeten oder Reue gezeigt. Sein Anwalt habe lediglich versucht, den Prozess mit einem Vergleich abzuwenden.

Dabei sei der Prozess wichtig für die Familie, um endlich abschließen zu können, sagt Lagies. „Mein Vater wird dadurch nicht wieder lebendig, aber man hätte ein Gefühl von Gerechtigkeit.“ Er verstehe auch nicht, warum das Gericht nicht ohne den Angeklagten verhandeln könne. Nun hoffe er, dass diese Krankmeldungen des Angeklagten kein „Endlosspiel“ werden. Atteste könne man kaufen, sagt Lagies. Jetzt sei ein neuer Verhandlungstermin im September im Gespräch – mehr als dreieinhalb Jahre nach dem Tod seines Vaters.