Neuköllner Brandanschläge

Neuköllner Brandanschläge: Angeklagter Tilo P. nennt sich unschuldig

Großer Andrang, strenge Kontrollen: Der Prozess um die rechtsextremen Anschläge in Neukölln hat begonnen. Einer der Angeklagten beteuert seine Unschuld. 

Der Linke-Politiker Ferat Kocak ist Nebenkläger im Prozess. Im Gerichtssaal stand er den mutmaßlichen Tätern des Brandanschlags auf sein Auto erstmals gegenüber.
Der Linke-Politiker Ferat Kocak ist Nebenkläger im Prozess. Im Gerichtssaal stand er den mutmaßlichen Tätern des Brandanschlags auf sein Auto erstmals gegenüber.dpa/Christian Ender

Der Zutritt zu Saal B 129 des Kriminalgerichts ist an diesem Montag nicht einfach, der Vorraum ist abgesperrt. Vor seinen Türen drängen sich Journalisten, Kameraleute und Fotografen, die in den Saal wollen. Doch nur ab und an öffnet ein Wachtmeister eine der Türen, um einen Wartenden zur Kontrolle hereinzulassen. Taschen und Handys werden weggeschlossen. So bleiben jedem ein Stift und ein Block.

Die Sicherheitsvorkehrungen sind hoch. Geht es in diesem Prozess doch um einen Teil der rechtsextremistischen Anschläge, mit denen seit Jahren Menschen eingeschüchtert werden sollen, die sich in Neukölln gegen Rechtsextremismus engagieren. Und die linke Szene hat zur Teilnahme am Verfahren aufgerufen.

Im Mittelpunkt des Prozesses stehen Sebastian T. und Tilo P., zwei polizeibekannte Männer aus der Neuköllner Neonaziszene. Ihnen wird vorgeworfen, in der Nacht zum 1. Februar 2018 die Autos des Linke-Politikers Ferat Kocak und des Buchhändlers Heinz Ostermann angezündet zu haben. Kocak und Ostermann engagieren sich seit Jahren gegen rechtsextremistische Umtriebe in ihrem Bezirk. Sebastian T. wird zudem beschuldigt, an den Wohnadressen anderer Neuköllner Drohungen an Häuserwände und Briefkästen gesprüht und zu Unrecht Hartz IV und Corona-Soforthilfen beantragt zu haben.

36 Jahre alt ist Sebastian T. und mehrfach vorbestraft. Er hat Landschaftsbau gelernt, war eine Zeit lang Kreisvorsitzender der NPD. Tilo P. ist drei Jahre älter, er war einst in der AfD. Sein Vorstrafenregister ist leer. Die Bewährungsstrafe, zu der er vor zwei Wochen vom Landgericht Berlin wegen einer Attacke auf einen Taxifahrer verurteilt wurde, ist noch nicht rechtskräftig.

Zwischen ihnen sitzt ein dritter Angeklagter. Samuel B., ein 39-jähriger Angestellter, wirkt zwischen den groß gewachsenen Hauptangeklagten klein und schmächtig. Er soll ebenso wie seine Mitangeklagten Aufkleber und Plakate mit rechtsextremistischen Inhalten geklebt haben. Sein Verteidiger, der in der rechten Szene bekannte Anwalt Wolfram Nahrath, nennt es eine banale Sachbeschädigung, begangen vor fünf Jahren.

Für mich war es ein Anschlag auf das Leben meiner Familie und auf mich.

Ferat Kocak, Politiker der Linkspartei

Noch vor Verlesung der Anklage kommt der bereits angekündigte Antrag der Verteidiger von Sebastian T. und Tilo P., Carsten Schrank und Mirko Röder fordern die Aussetzung des Verfahrens. Hintergrund: Das Landgericht Berlin hatte am Freitag den Linke-Politiker Ferat Kocak doch noch als Nebenkläger für das Verfahren zugelassen.

In der Begründung des Landgerichts heißt es, es könne sich bei der Brandstiftung an Kocaks Auto durchaus auch um ein versuchtes Tötungsdelikt handeln. Der Politiker sei zugelassen, um eine entsprechende Verurteilung zu erzielen, sagt Röder nun. Und zur Richterin gewandt fügt er hinzu: „Mit Verlaub, dann sind Sie nicht zuständig.“ Bei versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten muss vor einer Schwurgerichtskammer des Landgerichts verhandelt werden. Das Feuer an Kocaks Smart drohte damals auch auf das Haus des Politikers überzugreifen. In dem Gebäude schliefen zu dieser Zeit Kocak und seine Eltern.

Richterin Ulrike Hauser lehnt den Antrag jedoch ab. Es seien keine neuen Tatsachen bekannt, die einen hinreichenden Tatverdacht eines versuchten Tötungsdelikts begründeten, so Hauser. Eine Abgabe an das Landgericht sei daher zurzeit nicht möglich. Damit macht sie den Weg frei für die Verlesung der Anklage.

40 Minuten redet die Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft. Dann sind die Angeklagten an der Reihe. Sebastian T. schweigt. Für Tilo P. redet Anwalt Röder. „Mein Mandant möchte sich nicht äußern, aber erklären, dass er die Taten nicht begangen hat“, sagt er. Tilo P. sei unschuldig. Anwalt Nahrath sagt nichts zu den Vorwürfen gegen seinen Mandanten. Er regt ein Rechtsgespräch an, damit das Verfahren gegen Samuel B. gegen eine Geldauflage eingestellt werden kann.

Ursprünglich sollten fünf Angeklagte aus der rechtsextremen Szene auf der Anklagebank sitzen. Der 48-jährige Oliver W. hatte sich kurzfristig krankgemeldet. Auch Stefan K., 50 Jahre alt, erschien nicht. Bei beiden geht es um Sachbeschädigungen. Die Verfahren gegen sie sollen abgetrennt werden.

In den vergangenen Jahren registrierte die Polizei 72 rechtsextremistische Anschläge in Neukölln, darunter mehr als 20 brennende Autos. Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz taten sich schwer, die Serie überhaupt zu erkennen, die Aufklärung ging nur schleppend voran. Betroffene befürchten noch heute ein rechtes Netzwerk innerhalb der Behörden.

Eltern warnten Ferat Kocak vor dem Prozess

Ferat Kocak, der Sebastian T. und Tilo P. im Saal erstmals gegenübersaß, sagt nach dem ersten Verhandlungstag, er sei zufrieden, dass das Verfahren angefangen habe, aber auch schockiert, dass seine Rolle als Nebenkläger noch immer infrage gestellt werde. Er erzählt, dass er seit jener Nacht, in der sein Wagen brannte, Angst um seine Eltern habe. „Für mich war es ein Anschlag auf das Leben meiner Familie und auf mich.“ Kocaks Mutter hatte wenige Tage später einen Herzinfarkt erlitten.

Der 43-Jährige sagt, dass auch seine Eltern noch heute Angst um ihn hätten. Als er zum Verfahren aufgebrochen sei, hätten sie ihm mit auf den Weg gegeben, aufzupassen. Sie befürchten, ihrem Sohn könnte Ähnliches widerfahren wie Walter Lübcke. Der Kasseler Regierungspräsident wurde 2019 vor seinem Haus von einem Rechtsextremisten erschossen.

Die Anwälte der Angeklagten kritisieren, dass Kocak als Opfer der Brandanschläge auch Mitglied im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum sogenannten Neukölln-Komplex ist, der die Pannen bei den Ermittlungen zu der Straftatenserie aufklären soll. Er sei sich der Doppelrolle bewusst, sagt Kocak nun. Im Prozess sei er Opfer, im Untersuchungsausschluss Politiker und Aktivist, der jahrelang viel getan habe gegen Rechtsextremismus.

Am nächsten Verhandlungstag sollen die ersten Zeugen gehört werden.