Berlin

Brisante Hinweise: Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri wurde offenbar als Quelle genutzt

Berlin - Warum wurde Anis Amri, der Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, nicht gestoppt? Das fragen nicht nur die Angehörigen und Freunde der Opfer des Anschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz vom 19. Dezember 2016. Nun liegen offenbar interne Polizeidokumente vor, die nicht nur neue Belege dafür bringen, dass Anis Amri alles andere war als ein „radikalisierter Einzeltäter“.

Wie die rbb-Abendschau am Freitagabend berichtete, soll es brisante Hinweise dafür geben, dass Amri seit Anfang 2016 zeitweise als Quelle genutzt worden sei. Eine Vertrauensperson des Landeskriminalamts (LKA) Nordrhein-Westfalen habe insgeheim versucht, Amri über das Abu-Walaa-Netzwerk auszuhorchen. Der spätere Attentäter sei eine „enge Kontaktperson“ zum mittlerweile festgenommenen Prediger Abu Walaa gewesen, der als Schleuser für den sogenannten Islamischen Staat (IS) fungierte. Insgesamt hätten laut den Dokumenten des LKA Nordrhein-Westfalens 14 Personen des Abu-Walaa-Netzwerks in Kontakt zu Amri gestanden.

"Keine Kontrolle"

Doch obwohl es Erkenntnisse über Amris Verbindungen zum IS gab, wurde er nicht aus dem Verkehr gezogen. Die vorliegenden Dokumente belegen, dass dies auch so gewollt war. Laut rbb-Bericht sei eine Weisung an NRW-Polizeidienststellen ergangen, die Quelle Amri möglichst nicht zu kontrollieren. In diese Verabredung sei offenkundig auch die Berliner Polizei eingeweiht gewesen. Als Amri im Februar des vergangenen Jahres mit dem Bus nach Berlin kam, sei er von der Polizei überprüft worden – und zwar zum Ärger der NRW-Kollegen. Zitat aus den Akten: „Entgegen der Absprachen wurde Amri durch Kräfte des LKA Berlin offen kontrolliert. … Hierdurch Gefährdung des weiteren Einsatzes der VP“. Damit ist Vertrauensperson gemeint.

Scharfe Kritik hat der Chef des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts, Uwe Jacob, am Freitag an den Berliner Behörden geübt. Vor dem Amri-Untersuchungsausschuss des Landtags in Düsseldorf bezeichnete er es als falsch, dass die Berliner Polizei die Observation des späteren Attentäters Anis Amri im Juni 2016 einstellte.

"Tickende Zeitbombe"

Laut rbb-Bericht sagte Jacob vor dem Untersuchungsausschuss, dass es ein großer Fehler gewesen sei, Amri in seiner Gefährlichkeit herabzustufen und ihn nur als Kleinkriminellen und Drogendealer zu sehen. „Für uns war klar, Amri war eine tickende Zeitbombe“, so die zitierte Aussage von Uwe Jacob. Dieser betonte die aktive Rolle seiner eigenen Behörde. Das LKA Nordrhein-Westfalen habe ein großes Interesse daran gehabt, Amri unschädlich zu machen. „Wir waren der Treiber.“ Das Düsseldorfer LKA habe den islamistischen Gefährder „entdeckt“ und mehrfach im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum von Bund und Ländern (GTAZ) zum Thema gemacht.

Bei dem von Amri verübten Anschlag waren zwölf Menschen getötet, mehr als 50 verletzt worden. Jacob berichtete den Abgeordneten laut rbb-Bericht, er habe seine Mitarbeiter gefagt, wie sie die Lage einschätzten. Zu dieser Zeit sei noch nicht klar gewesen, wer die Tat begangen hatte. Und die Mitarbeiter hätten geantwortet: „Hoffentlich ist es nicht dieser Amri, an dem wir so lange dran waren.“

NRW-Behörden wurde der Vorwurf gemacht, sie hätten nicht genug getan, um Amri aus dem Verkehr zu ziehen. Amri war bei der Ausländerbehörde in Kleve gemeldet. Jacob sagte, das LKA habe Amri als hochgefährlich eingestuft und sich um einen Haftbefehl bemüht. Vorwürfe wie Sozialleistungsmissbrauch, Verwendung verschiedener Identitäten oder Diebstahl hätten dafür jedoch nicht ausgereicht. Warum Amri keine Meldeauflagen gemacht wurden, könne er nicht sagen. (mit dpa)