Straßenblockaden

Blockierer bringen die Wut von der Straße ins Parlament

Die „Letzte Generation“ hat es ins Abgeordnetenhaus geschafft. Politiker verlangen hartes Durchgreifen, Grüne und Linke lassen Sympathie erkennen.

Innensenatorin Iris Spranger im Abgeordnetenhaus
Innensenatorin Iris Spranger im Abgeordnetenhausimago/Emmanuele Contini

Radikale Klimaschützer der Gruppe „Letzte Generation“ haben am Donnerstag erneut für Verkehrschaos gesorgt. Ab 7.30 Uhr kam es auf der A100 zweimal zu langen Staus. Von der Autobahnabfahrt Spandauer Damm reihten sich die Autos bis Wedding zurück, weil sechs Personen die Abfahrt blockierten. Drei von ihnen hatten sich am Asphalt festgeklebt. Danach blockierten zehn Personen, von denen sich sechs festgeklebt hatten, die Autobahnabfahrt Tempelhofer Damm. Das Ergebnis: Rückstau bis Britz. Die Polizei musste die festgeklebten Blockierer mit Öl lösen.

Währenddessen stand in Tempelhof auf der Autobahn auch ein Auto mit einer hochschwangeren Frau, die in den Wehen lag. Mit Blaulicht und Martinhorn musste die Polizei das Auto mit der Frau zur Ausfahrt eskortieren.

Seit Wochen blockieren Klimaschützer in Berlin und bundesweit Straßen, um ein „Essen-Retten-Gesetz“ durchzusetzen und so Treibhausgase einzusparen. Bis zum Mittwoch leitete allein die Berliner Polizei 45 Verfahren wegen Nötigung, sechs wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und 35 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ein. Sieben Personen wurden auf richterlichen Beschluss in Unterbindungsgewahrsam genommen. Nach Angaben eines Polizeisprechers sind dabei auch Mehrfachnennungen enthalten, weil gegen einzelne Personen mehrere Verfahren geführt werden. Auch am Donnerstag wurden weitere Verfahren eingeleitet. Über weitere Ingewahrsamnahmen sollte bis zum Abend ein Richter entscheiden.

Inzwischen wird das Vorgehen mancher Klimaschützer immer radikaler. In Prenzlauer Berg und Mitte ließen in der Nacht zu Donnerstag bisher Unbekannte aus zahlreichen Autoreifen die Luft heraus. Gegen 0.50 Uhr bemerkte eine Anwohnerin, wie die Gruppe an 13 SUV-Fahrzeugen die Luft aus den Reifen ließen. Hinter die Scheibenwischer klemmten später Zettel mit dem Text „Vorsicht Bärin-Alarm: Platter Reifen, Verkehrswende jetzt! Stadt für alle! System Change not Climate Change! FCK SUV“. Der Staatsschutz übernahm die Ermittlungen.

Berliner Parlament: Redner von CDU, SPD, FDP und AfD kritisieren die Aktionen

Die Straßenblockaden haben auch das Berliner Abgeordnetenhaus erreicht, dort aber recht wenig Unterstützung gefunden. Bei einer Debatte am Donnerstag wiesen Redner mehrerer Parteien darauf hin, dass es sich dabei um Straftaten handelt, mit denen die Demonstranten sich und andere gefährdeten. Diese seien vom Recht auf Demonstrations- und Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Linke und Grüne wollten die Aktionen hingegen nicht pauschal verurteilen, ziviler Ungehorsam könne ein legitimes Mittel sein.

Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) kündigte eine neue Linie der Polizei gegen die Blockaden an. „Wir müssen damit rechnen, dass es zu weiteren vergleichbaren Protesten kommen wird“, sagte sie im Parlament. „Die Polizei erweitert daher ihre Taktik, um Aktionen rechtzeitig zu erkennen und zu verhindern, zum Beispiel durch gezielte Gefährderansprachen.“ Darüber hinaus werde geprüft, ob man den Blockierern die Einsatzkosten in Rechnung stellen könne.

Innensenatorin Spranger: Der Zweck heiligt nicht alle Mittel

Spranger machte in ihrer Rede deutlich, was sie von der Protestform hält. Diese sei „völlig inakzeptabel“ und gehe „weit über die grundgesetzlich geschützte Versammlungsfreiheit hinaus“. Sie sehe den Straftatbestand der „gefährlichen Eingriffe in den Straßenverkehr“ erfüllt, sagte die Senatorin. Schließlich würden nicht allein Rettungsfahrzeuge blockiert, das bewusste Herbeiführen von Staus vergrößere auch die Gefahr von Auffahrunfällen. „Blockaden sind gefährlich“, sagte Spranger. Der Zweck heilige nicht die Mittel, „und vor allem nicht dieses Mittel“.

Der SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber nannte die Protestform der Klimaschützer „unsäglich, unerträglich und unverhältnismäßig“. Er schlug beschleunigte Verfahren gegen Blockadeteilnehmer vor. Gleichzeitig müsse die Politik den Demonstranten Dialogangebote machen. Ihre Botschaft, mehr für Klimaschutz zu tun, sei angekommen. Dieses Ziel verfolge auch die rot-grün-rote Koalition. „Es ist sehr wichtig, ihnen deutlich zu machen, dass alle Parteien in der Sache gesprächsbereit sind“, so Schreiber.

Aus der Opposition waren solche Töne allerdings im Plenum nicht zu hören. Der CDU-Innenpolitiker Frank Balzer forderte, die Polizei müsse nicht angezeigte Blockaden unverzüglich beenden. Alle Straftaten seien zur Anzeige zu bringen. Einige Rädelsführer seien inzwischen bekannt. „Das sind Gefährder, die angesprochen werden müssen.“ Und sein FDP-Kollege Björn Matthias Jotzo sagte: „Die Berlinerinnen und Berliner haben die Schnauze gestrichen voll.“ Er vermisse ein wirksames Einsatzkonzept der Polizei, sagte der Oppositionspolitiker.

Blockade an der Ausfahrt Messedamm
Blockade an der Ausfahrt MessedammVolkmar Otto

Linke und Grüne in Berlin unterstützen die Protestierer

Grüne und Linke hielten dagegen. Der Grünen-Innenpolitiker Vasili Franco wandte sich gegen eine pauschale Kriminalisierung. „Ich persönlich halte zivilen Ungehorsam zunächst für ein legitimes Mittel.“ Selbstverständlich müsse Protest friedlich sein und dürfe keine Menschenleben gefährden. Allerdings schließe das Versammlungsrecht Autobahnen nicht als Ort für Demonstrationen aus.

Für Klimaschutz einzutreten, sei kein Verbrechen, sagte der Sprecher für Klimapolitik der Linke-Fraktion, Ferat Kocak. In einer kämpferischen Rede verwies er darauf, dass „Protest manchmal provokant sein“ müsse, „manchmal muss er den sogenannten Normalbetrieb stören, denn sonst bleibt er letztlich unbeachtet und wirkungslos“. Angesichts einer Situation, in der weltweit verantwortliche Politiker zuschauten, wie der Planet in den Abgrund gefahren werde, erscheine die Blockade von Autobahnauffahrten als mildes Protestmittel.

Umweltminister Özdemir: Straßenblockaden „schaden dem gemeinsamen Ziel“

Die Blockaden sind längst auch Thema auf der Bundesebene – und nicht alle Grüne sehen sie positiv. So kritisierte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir die Aktionen. „Ich glaube, dass Straßenblockaden unserem gemeinsamen Ziel schaden“, sagte er am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. „Gesellschaftliche Mehrheiten gewinnt man ganz sicher nicht, wenn man Krankenwagen, Polizei oder Erzieherinnen auf dem Weg zur Arbeit blockiert.“