Tierwohl in Gefahr

Berliner Tierheim: „Wir sind an der Grenze der Belastbarkeit“

Es sind noch die Spätfolgen der Corona-Pandemie: Viele Tiere werden abgegeben, nur wenige können vermittelt werden. Die Heime „platzen aus allen Nähten“.

Vier junge Katzen sitzen im Mutter- und Kinderkatzenhaus im Berliner Tierheim, das wegen Überfüllung an die Belastungsgrenze gerät.
Vier junge Katzen sitzen im Mutter- und Kinderkatzenhaus im Berliner Tierheim, das wegen Überfüllung an die Belastungsgrenze gerät.Monika Skolimowska/dpa

Berlins Tierheime und Tierauffangstationen sind so voll, dass die Betreiber abwägen müssen, einzelne Tiere einzuschläfern, weil schlicht kein Platz für sie ist. Das berichtet Jana Hoger von PETA, Deutschlands größter Tierrechtsorganisation, der Berliner Zeitung.

Ob manche Heime Tiere wirklich wegen Überfüllung einschläfern, darüber sprechen die Verantwortlichen in der Öffentlichkeit ungern. Aktuell wägten aber beispielsweise die Veterinärämter bei einem Fall in Groß-Gerau bei Darmstadt ab, ob sie Tiere einschläfern müssten, sagt Hoger. Zu solchen Entscheidungen scheint es immer wieder zu kommen.

„Die Situation in Deutschland ist prekär“ und verschlechtere sich weiter, sagt Jana Hoger. Züchter produzieren immer mehr Haustiere, kriminelle Händler verkaufen weiterhin exotische Tiere im Internet, und auf Bauernhöfen reproduzierten sich Tiere unkontrolliert.

Besonders in der Hauptstadt sei die schwierige Situation spürbar. Das Tierheim Berlin, nach eigenen Angaben das größte Europas, ist weit über seiner Auslastungsgrenze. „Zurzeit kümmern wir uns um 294 Hunde“, sagt die Tierheimleiterin Mareen Esmeier, „aber wir haben aber nur 260 Hundezwinger.“ Bei den Katzen ist die Situation noch dramatischer: Für 630 Katzen gibt es im Tierheim 370 Boxen – und ein Freigehege. Laut Esmeier sind die Zustände für die Tiere nicht angenehm.

Tiere müssen ausgelagert werden

Die Konsequenz der zu hohen Anzahl an Katzen und Hunden sei, dass das Tierheim immer wieder Hunde privat bei Mitarbeitern oder sogar kostenpflichtig in Pensionen unterbringen müsse. 86 Katzen seien in Pflegestellen oder bei Mitarbeitern untergebracht. Die Unterbringung in Tierpensionen werde durch Spendengelder des Tierschutzvereins finanziert.

Ein Hund schaut durch eine Luke in seinem Zwinger in einem Tierheim.
Ein Hund schaut durch eine Luke in seinem Zwinger in einem Tierheim.Hannes P. Albert/dpa

Für PETA gebe es keine Alternative als das Auslagern von Tieren. Für die Tiere bedeuten aber volle Käfige und Zwinger ein hohes Level an Stress und seelischer Belastung. In den Berliner Tierheimen müssten größere Boxen doppelt belegt und Ausweichmöglichkeiten wie große Katzenstuben für Kleintiere oder auch für kleine Hunde genutzt werden, sagt Esmeier. Die Platzprobleme stellen aber nicht nur eine Herausforderung für die Tiere dar. Für die Tierärzte und Pfleger bedeutet das erhebliche Mehrarbeit.

„Unsere Mitarbeiter sind an der Grenze ihrer Belastbarkeit angelangt“, sagt Esmeier. Durch die Überfüllung könne die Gesundheit der Tiere in den Heimen kaum noch gewährleistet werden. Das schlage sich in der Zahl der Infektionen nieder. Gerade genesene Tiere erkrankten trotz aller Hygienemaßnahmen schneller und häufiger wieder. Das liege auch daran, dass sie viele kranke und ungeimpfte Tiere aufnähmen.

Aggressionsprobleme, hohe Kosten, Unsauberkeit

Dass so viele Tiere abgegeben werden, ist auch noch eine Folge der Corona-Pandemie. Davon gehen sowohl Jana Hoger als auch Mareen Esmeier aus. „Die absolute Zahl der Heimtiere ist in Pandemiezeiten stark angestiegen, die Zahl der Tierheimplätze aber nicht“, sagt die Heimleiterin. Viele Tiere, vor allem Hunde, seien in der Pandemie spontan gekauft und wenig sozialisiert worden. Menschen hätten sich schon nach kurzer Zeit nicht mehr für diese Tiere verantwortlich gefühlt, sagt Hoger von PETA.

Esmeier sagt, dass vor allem Hunde mit Aggressionsproblemen in der Familie und Katzen oft wegen Unsauberkeit und vorgeschobenen Allergien abgegeben würden. „Viele unterschätzen die Verantwortung, die mit der Anschaffung eines Terriers oder einer Arbeitshunderasse einhergeht, sodass Probleme im Zusammenleben leider programmiert sind – spätestens wenn die Tiere in die Pubertät kommen.“ Auch bei Kleintieren wie Kaninchen werde die damit verbundene Arbeit unterschätzt: „Zwei Kaninchen können im Laufe ihres Lebens wegen Ausstattung, Futter und Tierarztkosten durchaus 10.000 Euro kosten“, sagt Esmeier.

Die Dogge Giorgio ist seit 2018 im Tierheim Berlin. Durch sein aggressives Verhalten ist der Hund schwer an einen neuen Besitzer zu vermitteln. 
Die Dogge Giorgio ist seit 2018 im Tierheim Berlin. Durch sein aggressives Verhalten ist der Hund schwer an einen neuen Besitzer zu vermitteln. Hannes P. Albert/dpa

In der Hauptstadt werden viele Tiere an die Heime abgegeben, aber das Tierheim erhalte täglich sehr viele Anfragen von Berlinerinnen und Berlinern, die gerne ein Tier bei sich aufnehmen möchten. Mehr als 100 Katzen und zwischen 30 bis 50 Hunde seien täglich angefragt. Aber nur ein Bruchteil davon kann tatsächlich vermittelt werden: Etwa 30 bis 40 Katzen und nur sieben bis zehn Hunde fänden pro Woche neue Besitzer. Auch hier liegt das Hauptproblem vor allem wieder am aggressiven Verhalten von vielen Tieren. „Hunde mit Beißvorfällen und schweren Verhaltensauffälligkeiten warten auf ein sachkundiges Zuhause“, sagt Esmeier. Angebot und Nachfrage passten oft nicht zusammen.

„Es braucht politische Entscheidungen, um die Tiere zu schützen“

Mareen Esmeier will verbindliche Sachkundenachweise bei allen neuen Hundehaltern sehen: „Es kann nicht ausreichen, dass ich in Berlin nur mein Wissen nachweisen muss, wenn ich meinen Hund ohne Leine laufen lassen möchte.“ Die auf Landesebene geregelten Vorgaben für die Anschaffung eines Tieres reichen ihrer Meinung nach noch nicht aus: „Auf Grundlage des Tierschutzgesetzes müssten bundeseinheitliche Regelungen her, die ein Grundwissen über artgerechte Haltung und Mindestanforderungen an die Haltung definieren.“

Auch die Tierrechtsorganisation PETA plädiert für politische Entscheidungen, um Tiere zu schützen. Um die Situation zukünftig in den Griff zu bekommen und die stetige Überfüllung der Tierheime zu reduzieren, brauche es auch eine Kastrations- und Registrierungspflicht für Katzen und ein umgehendes Nachzuchtverbot. Denn so wie zurzeit, dass viele Tiere leiden oder gar getötet werden, weil sich keine Unterbringungsmöglichkeiten mehr finden, kann es nicht weitergehen.