Verkehr

Rot-Rot-Grün gibt auf: Berliner Verkehrswende liegt auf Eis

Die Koalition kann sich bei City-Maut nicht einigen. Die Folge: Das geplante Gesetz für weniger Parkplätze und schmalere Straßen kommt nicht.

Mal wieder ganz schön viel los auf den Berliner Straßen! Stau Unter den Linden. 
Mal wieder ganz schön viel los auf den Berliner Straßen! Stau Unter den Linden. Berliner Zeitung/Sabine Gudath

Berlin-Weniger Autos, weniger Parkplätze, schmalere Straßen: Ein neuer Abschnitt des Berliner Mobilitätsgesetzes sollte der Verkehrswende zum Durchbruch verhelfen. Doch der Plan, grundlegende Änderungen auf den Straßen per Landesgesetz zu erreichen, ist gescheitert. Am Dienstagabend hat die rot-rot-grüne Koalition die Verhandlungen für beendet erklärt. Eine Einigung sei nicht möglich gewesen, hieß es am Mittwoch in allen drei Fraktionen. „Die SPD blockiert die Verkehrswende“, kritisierte Changing Cities. Aber auch die Linke war skeptisch.

Entwicklung neuer Mobilität: So sollte der geplante sechste Abschnitt des Mobilitätsgesetzes überschrieben werden. Zwar sieht der Entwurf des Senats dafür nur sechs Paragrafen vor, aber die haben es in sich. So soll der Paragraf 67 mit diesem Satz beginnen: „Der Anteil des motorisierten Individualverkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen soll konsequent reduziert werden, um den begrenzten öffentlichen Raum stadtverträglicher und effektiver zu nutzen.“

Grüne: „Der ganze Streit ist hochgezogen“

Im Paragrafen 70 sind Maßnahmen aufgelistet – unter anderem „Maßnahmen zur Steuerung des fließenden und ruhenden motorisierten Individualverkehrs“. Auch von „Maßnahmen zur Reduzierung und effektiveren Nutzung des Verkehrsraums für den fließenden und ruhenden motorisierten Individualverkehr“ ist die Rede. Was damit konkret gemeint ist, lässt sich der Begründung entnehmen: „weniger Parkraum für Kraftfahrzeuge“ und „weniger Fläche für den fließenden Verkehr“. In dem Paragrafen kann man auch von „Einnahmen der Hauptverwaltung aus Steuerungsmaßnahmen des fließenden Verkehrs“ lesen. In der Begründung steht etwas von „Preismechanismen“.

„Damit ist eine rote Linie überschritten“, sagte der SPD-Verkehrspolitiker Tino Schopf am Mittwoch. Nicht nur die Sozialdemokraten, auch die Linke interpretieren diesen Teil des Gesetzesentwurfs und dessen Begründung so, dass hier eine City-Maut gemeint ist. Beide Parteien sind dagegen, dass Autofahrten innerhalb des S-Bahn-Rings künftig Geld kosten sollen. Die Verwaltung und die Grünen hätten gewusst, dass dieses Thema nicht zur Diskussion steht, so Schopf. „Es war von Anfang an allen Beteiligten klar, dass wir die City-Maut ablehnen“, bekräftigte Kristian Ronneburg von der Linken.

Eine solche Straßennutzungsgebühr sei nicht nur unsozial, weil sie Menschen mit wenig Geld belaste, hieß bei den Parteien. Eine Maut würde auch dazu führen, dass sich Verkehr und Verkehrsprobleme verlagern. Dagegen haben die Grünen Sympathien für die City-Maut, die in vielen Städten schon kassiert werde. Sie biete eine Möglichkeit, den knapper werdenden Straßenraum sinnvoll zu bepreisen und Autofahrer dazu zu bewegen, sich anders fortzubewegen. Harald Moritz von den Grünen kann die Aufregung nicht verstehen: „Für eine City-Maut bräuchten wir ein separates Gesetz. Der ganze Streit ist hochgezogen.“ Doch Versuche, den Konflikt mit anderen Formulierungen zu lösen, fruchteten nichts.

Streit gab es auch darum, ob und in welchem Maße der Autoverkehr und die Zahl der Autostellplätze in Berlin verringert werden sollte. Die Grünen schlugen vor, ein festes Ziel zu verankern: Bis 2030 sollte die Hälfte der Parkplätze in Berlin verschwinden. Als das auf Kritik stieß, sollte zumindest von einer systematischen Reduzierung des Parkraums die Rede sei. Doch auch das wurde bei der SPD mit Ablehnung quittiert. Die Linke wiederum verlangte, dass die Bürger beteiligt werden.

SPD: „Ein Schlag ins Gesicht der Berliner Wirtschaft“

Doch am Dienstag gegen 23 Uhr gingen Torsten Schneider (SPD), Antje Kapek (Grüne), Stefan Zillich (Linke) und die anwesenden Fachpolitiker ohne positives Ergebnis auseinander. Der Entwurf des Senats, über den dort bereits Einigkeit bestand, kommt nicht ins Parlament. Die SPD kritisierte, dass auch der Abschnitt zum Wirtschaftsverkehr gestorben sei. Dass auch er nun erst mal nicht komme, sei „ein Schlag ins Gesicht der Berliner Wirtschaft“, so Tino Schopf. Die Grünen entgegneten, dass die vorgesehenen zusätzlichen Ladezonen nur möglich seien, wenn der Parkraum für Privatautos beschränkt werde. Beide Gesetzesabschnitte wären nur zusammen denkbar, so Moritz.

„Wie wir hören, störte sich die SPD vor allem am Ziel, den Autoverkehr in Berlin deutlich zu reduzieren. Damit widerspricht sie nicht nur ihrem eigenen Wahlprogramm, sondern auch allen wissenschaftlichen Erkenntnissen für die Verbesserung der Mobilität in Städten und dem Konsens zivilgesellschaftlicher Stakeholder von Mobilitätsorganisationen wie dem VCD bis hin zu Wirtschaftsverbänden wie der IHK. In der SPD haben endgültig die Autosozen wieder das Ruder übernommen, die aus ideologischen Gründen für Stillstand in Berlin sorgen wollen“, kommentierte Denis Petri von Changing Cities. 

„Es hätte so schön werden können in Berlin“, twitterte das Bündnis Berliner Straßen für alle. „Mehr Platz für den Wirtschaftsverkehr, weniger Staus, mehr Platz für Menschen, weniger Verkehrstote, mehr Klimaschutz …“

„Die Verhandlungen zu Neuer Mobilität und Wirtschaftsverkehr im Mobilitätsgesetz sind nach langen Verhandlungen letzte Nacht gescheitert. Wir Grüne bedauern das sehr“, sagte Grünen-Politiker Moritz. „Das ist eine schlechte Nachricht für die Berliner Wirtschaft, für innovative, klimafreundliche Mobilität und nicht zuletzt für die Verkehrssicherheit in unserer Stadt. Leider war die SPD weder bereit, sich zu einer Reduktion des motorisierten Individualverkehrs und von Pkw-Parkplätzen zu bekennen, noch zu einer intelligenten Steuerung des Verkehrs.“ Damit weigere die SPD sich, Platz zu schaffen: für den Ausbau des Nahverkehrs, für Lieferzonen der Wirtschaft, für Stellplätze für Sharing-Fahrzeuge und für mehr Verkehrssicherheit. „Das ist klimaschädlich und geht an den Realitäten in der Stadt vorbei“, so der Abgeordnete.