Im letzten Sommer war ich auf dem Hintertuxer Gletscher, das liegt im Zillertal. Ich stand also auf einem Berg in Österreich, rund 600 Kilometer südlich von Berlin und rund 3200 Meter höher gelegen. Die Gegend wirbt damit, dass man dort das ganze Jahr über Ski fahren kann. Aber schon seit ein paar Jahren sorgt der Gletscher für Aufregung, weil das Ski-Fahren wegen der hohen Temperaturen immer wieder eher ein Wasserski-Fahren wird. Und als ich dort oben stand, merkte ich, wie der Gletscher schmilzt.
Dieses Bild habe ich auch in Berlin vor Augen, denn die Auswirkungen des Klimawandels betreffen mich längst in meinem Alltag in der Stadt. Gerade jetzt im Winter mit den fast frühlingshaften Temperaturen der letzten Tage und besonders an Silvester. Ich habe am Jahreswechsel so viel Zeit draußen verbracht, wie noch nie zuvor. Ich habe im Sommer die Wochen ohne Regen erlebt, weshalb es schon im Spätsommer in Berlin aussah, wie im Herbst. Der Klimawandel begleitet mich schon eine Weile.
Diese direkten Effekte mit eigenen Augen zu sehen hat mir noch mal ein ganz neues Bewusstsein dafür geschaffen, was wir mit unserem Planeten anrichten und dass ich in meiner Generation und der nach mir mit den Auswirkungen des Egoismus der vergangenen Jahre und der heutigen Gesellschaft klar kommen müssen. Mindestens deshalb bin ich fasziniert, wenn Jugendliche und junge Erwachsene versuchen, Gesellschaft und Politik darauf aufmerksam zu machen. Sie wehren sich. Sie wollen nicht akzeptieren, dass sie einmal auf einem zerstörten Planeten leben sollen.

Gleichzeitig fällt auch mir auf, dass die Methoden der Klimaaktivisten extrem sind. Sie kleben sich auf die Straße oder an Gemälde oder besetzten in den vergangenen Tag sogar den Ort Lützerath. Diese Methoden stoßen nicht gerade auf Begeisterung, auch nicht bei mir. Aber deswegen sind die Methoden nicht falsch. Ich finde, dass sie zeigen, aus welcher Not und Verzweiflung die Menschen handeln. Aus der Sicht von manchen Boomern zum Beispiel kann diese Gefühlslage gar nicht nachvollzogen werden, da diese die Auswirkungen des Klimawandels nie so zu spüren bekommen werden wie die künftigen Generationen. Also: wie ich.
Richtige Wut, aber gegen die Falschen gerichtet
Die Aussage hinter dieser Art des Aktivismus wird auch viel zu selten aufgegriffen. Die Aktivisten wollen uns vor Augen führen, wie uns im Verhältnis zum Klimawandel so kleine Schäden und schlechte Situationen viel mehr aus der Fassung bringen als die Zerstörung unseres Planeten. Das kann ich auch nachvollziehen, da Dinge wie Staus durch Aktivisten, die sich auf die Straße kleben, einfach unsere Routine und unseren Alltag stören. Die meisten Menschen wollen die Aussage gar nicht verstehen, sondern einfach wütend auf die Personen sein, wegen der man zu spät kommt.
Trotzdem setzen die Klimaaktivist:innen meiner Meinung ein wichtiges Zeichen, lösen Diskussionen aus, halten der Gesellschaft und auch mir einen Spiegel vor. Sie zeigen so, dass unsere Prioritäten in vielen Punkten an der falschen Stelle liegen. Ironischerweise beweisen genau die Menschen, die sich über die Klimaaktivisten aufregen, den Punkt, den die Klimaaktivist:innen versuchen zu setzten: Ihre Wut ist im Grunde richtig, aber sie richtet sich gegen die Falschen.


