Corona-Demos in Berlin

Berliner Polizei und Corona-Protestierer haben eine neue Strategie

Am Wochenende gingen wieder Tausende gegen die Corona-Einschränkungen auf die Straße. Die Polizei musste sie laufen lassen.

Polizisten nehmen einen angeblichen Rädelsführer der Proteste fest.
Polizisten nehmen einen angeblichen Rädelsführer der Proteste fest.Andreas Kopietz

Berlin-An der Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz treffen sich Touristen und Polizisten. Die Beamten weisen verdächtige Touristen darauf hin, dass an diesem Wochenende mehrere Demonstrationen von Gegnern der Corona-Maßnahmen verboten sind. „Querdenken“-Initiativen und andere haben nach Berlin gerufen. Die Polizei hat es schwer, denn im Messengerdienst Telegram ist dazu aufgerufen worden, auf Plakate zu verzichten, um nicht als Demonstrant erkannt zu werden.

Bei Telegram werden Demo-Treffpunkte genannt. Das wissen auch drei grauhaarige Frauen, die zusammen in der U5 vom Alex zur Weberwiese unterwegs sind. „Noch drei Stationen“, schwäbelt eine. Oben, auf der Karl-Marx-Allee, blicken sich alle hilflos um. Die Demo ist schon losgegangen.

Durch Friedrichshain, Prenzlauer Berg und Mitte ziehen Wandergruppen mit Rucksäcken und in bequemen Schuhen. Einige haben Plakate dabei, einige tragen Shirts mit der Schrift „Gesund“. An der Greifswalder Straße formiert sich ein Zug, den die Polizei bald wieder auflöst. Eine Frau wird von Polizisten zu Boden gestoßen und hat jetzt eine Platzwunde.

Kurz darauf ziehen Hunderte auf der Schönhauser Richtung Alex. Der Zug wächst schnell, bald sind es Tausende. Sie ziehen durch Mitte und rufen „Frieden, Freiheit, keine Diktatur!“ Laufen über die Brunnen-, die Bernauer, die Invalidenstraße nach Moabit. Niemand trägt Maske. Die beiden Punks am Straßenrand sind disziplinierter. Sie haben medizinische Masken.

Die Berliner Polizei setzt auf eine andere Taktik

Die Polizei hat jetzt eine andere Taktik als am 1. August, als sie mehr als 1000 Demonstranten festnahm und es drastische Bilder von Polizeigewalt gab. Trotzdem gelingt es ihr nicht, die vielen illegalen Demos zu stoppen. „Wir begleiten die Aufzüge und konzentrieren uns auf die Festnahme der Rädelsführer, die zu verbotenen Versammlungen aufrufen“, sagt eine Polizeisprecherin.

In Moabit etwa: Polizisten rennen in den Zug und nehmen einen Mann fest. Er nennt sich „Captain Future“ und hatte tags zuvor Besuch vom Landeskriminalamt. Bei dieser sogenannten Gefährderansprache wurde ihm mit Festnahme gedroht, sollte er an einer illegalen Veranstaltung teilnehmen.

Auf der Lessingbrücke versperrt die Polizei den Weg, weil es hier zum abgeriegelten Regierungsviertel geht. Demonstranten schieben, die Polizei versprüht Pfefferspray. „Starke Männer nach vorn!“, ruft eine kleine Frau.

Demonstranten folgen dem Konzept der Dezentralisierung

Koordiniert werden die Demos über die „Querdenken“-Kanäle bei Telegram und durch den Livestreamer Ignaz Bearth, der am Sonnabend und am Sonntag durchgibt, wo was los ist und jetzt auch „die Gabi, den Christoph und die Sandra“ im Chat begrüßt. „Um die Puzilei zu irritieren, müsst ihr auseinandergehen und euch dann neu formieren – auseinander und wieder neu. Das ist eine megacoole Sache“, sagt er und gebraucht den Begriff „Dezentralisierung“. Das tun die Menschen, die ihm folgen, auch. Die Polizei hätte keine Chance, hier etwas mit ihren 2000 Leuten auszurichten, die jeweils am Sonnabend und Sonntag im Einsatz sind.

Jens aus Mecklenburg-Vorpommern geht schon lange gegen die Einschränkungen auf die Straße.
Jens aus Mecklenburg-Vorpommern geht schon lange gegen die Einschränkungen auf die Straße.Andreas Kopietz

Ignaz Bearth aus der Schweiz gilt als Rechtsaußen-Politiker und befeuert Verschwörungserzählungen. „So wie die Juden im Dritten Reich verfolgt wurden, werden jetzt auch Menschen, die sich weigern, sich den Impfstoff reinzujagen, diskriminiert“, behauptet der Streamer am Sonntag und relativiert damit den Holocaust.

„Ich würde behaupten, die meisten Demonstranten sind nicht so extrem drauf“, sagt Christian aus Friedrichshain, der schon seit dem vergangenen Jahr regelmäßig gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert. Warum folgen dann die Massen – die allermeisten sehen normalbürgerlich aus und keine Reichsflagge ist zu sehen, so wie bei früheren Demos – solchen Leuten? „Diese Diskussion habe ich in meinem Freundeskreis auch“, sagt Christian. „Als wir im vorigen Jahr gesehen haben, dass auch Rechtsextreme auf die Straße gegangen sind, haben meine Bekannten und ich entsprechende Schilder gemacht und ‚Nazis raus!‘ gerufen.“

„Einseitige Aufklärung von regierungsnahen Virologen“

Am Leipziger Platz hat die Partei „Die Basis“, die der „Querdenken“-Bewegung entstammt, eine Veranstaltung angemeldet. Die Polizei hatte sie erst untersagt, das Verwaltungsgericht kippte das Verbot. Rund 2000 Leute sammeln sich hier. Auch Jens. Er ist, wie so oft schon, aus Mecklenburg-Vorpommern angereist. „Wir gehen auf die Straße, weil wir hinterfragen“, sagt er.

„Ich bin kein Corona-Leugner. Ich schütze mich, indem ich mein Immunsystem stärke.“ Er nehme Zink und gurgele gegen die Viren mit Wodka und darin aufgelöstem Honig. „Wir haben keine so extreme Pandemie-Lage. Und die ganzen Impfstoffe sind nicht erforscht“, sagt er. „Und es kann nicht sein, dass so eine einseitige Aufklärung erfolgt von regierungsnahen Virologen.“ Es finde kein Diskurs statt. Und er sagt: „Hier sind auch nicht alle Nazis.“ Jens hat nach eigener Darstellung „schon zu Ostzeiten genau wie jetzt“ den Staat kritisiert, ist aus der FDJ rausgeflogen.

Nachdem der Veranstalter die Versammlung für beendet erklärt hat, fordert die Polizei die Leute auf, den Platz zu verlassen. Ein sogenannter Rädelsführer wird festgenommen, Pfefferspraywolken wabern, die Leute rufen in Richtung der Polizisten: „Nazis raus!“ Polizisten werden mit Nazis gleichgesetzt, das „Merkel-Regime“ mit dem Nazi-Regime.

Karoline Preisler: „Verstehe den Unmut. Aber sie wählen falsche Mittel“

Zwischen den Demonstranten steht eine Frau mit Maske, die ein Schild in der Hand hält: „Ich hatte Covid 19 und mache mir Sorgen um Euch“. Es ist Karoline Preisler, FDP-Politikerin aus Mecklenburg-Vorpommern. Sie wurde bundesweit bekannt, als sie nach ihrer Erkrankung am Coronavirus bei Twitter ein Tagebuch führte.

Karoline Preisler: „Die Abwägung der Grundrechtseinschränkungen lief schlecht.“
Karoline Preisler: „Die Abwägung der Grundrechtseinschränkungen lief schlecht.“Andreas Kopietz

Die Maßnahmen hält sie für unverhältnismäßig. „Die Abwägung bei den Grundrechtseinschränkungen lief schlecht.“ Die Demo-Verbote findet sie falsch. „Gerade in Berlin ist der Innensenator immer wieder politisch gelenkt statt vom Infektionsschutz“, sagt sie. Preisler versteht, dass die Leute ihren Unmut äußern. „Aber sie wählen falsche Mittel. Die Lust am Krawall. Diese gewählte Sprache, es gebe keine freien Medien. Oder die Sprache vom Staatsstreich. Wenn man sich mit Menschen zusammentut, die antidemokratische Mittel wählen, wird man nicht gehört.“

Auch am Sonntag gehen die Proteste weiter. Wieder ziehen Tausende durch Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Mitte. Wieder gibt es Festnahmen. Doch Ziel der Polizei ist es nicht mehr, Demos zu verhindern, wie bisher, sondern sie immer wieder zu stoppen, in kleinere Gruppen zu teilen. Im Grunde das Konzept der „Dezentralisierung“, das die Demo-Organisatoren propagieren mit dem Unterschied, dass die Polizei darauf wartet, dass die Leute irgendwann genug haben und nach Hause gehen. Mehr kann sie nicht tun.

In einer früheren Version dieses Textes hieß es zunächst, die Polizei habe die Veranstaltung auf dem Leipziger Platz beendet. Das ist nicht korrekt. Wir bedanken uns für den Hinweis.