Fehlende Schulplätze

Berliner Haushalt: Werden 136 Millionen Euro für Schulbauoffensive weggekürzt?

Schon vor der Ukraine-Krise fehlte es an Schulplätzen in Berlin. Dennoch soll es dringend nötige Investitionen in den Ausbau jetzt nicht geben.

Schulbauoffensive Lichtenberg: Baustellentour zur Lew-Tolstoi-Schule, Polier Jens Schinnerl bei der Arbeit.
Schulbauoffensive Lichtenberg: Baustellentour zur Lew-Tolstoi-Schule, Polier Jens Schinnerl bei der Arbeit.Volkmar Otto

Berlin-Finanzsenator Daniel Wesener hatte angekündigt, dass der Berliner Doppelhaushalt 2022/23 „definitiv kein Sparhaushalt“ werde. Und er hatte auch gesagt, dass im investiven Bereich nicht gekürzt werden solle. Doch nun wird eine sehr große Kürzung im investiven Bereich sichtbar, die für die Berliner Schullandschaft fatal sein könnte. Die Ausgaben für die sogenannten modularen Ergänzungsbauten (MEB) werden im Jahr 2022 um 30 Prozent gekürzt und die Ausgaben für die Neubauten sogar um 25 Prozent.

Diese Kürzungen sind gut versteckt. Man findet sie nicht in dem für Bildungsausgaben zuständigen Plan 10 des Haushalts, sondern nur dann, wenn man den für Stadtentwicklung zuständigen Plan 12 durchsieht.

Torsten Kühne, der heute Bildungsstadtrat von Marzahn-Hellersdorf ist und zuvor in derselben Funktion die Schulbauten von Pankow betreute, hat festgestellt, dass insgesamt eine Summe von rund 300 Millionen Euro eingespart werden soll: Für die Ergänzungsbauten sind 120 Millionen Euro weniger vorgesehen und für die groß angelegten Kompartmentschulen 160 Millionen. Auch sind nur 15 Millionen Euro für 1,5 Sporthallen vorgesehen, obwohl die vierfache Summe benötigt würde. Gespart werden soll in fast allen Bezirken. Wie die Neuköllner Bildungsstadträtin Karin Korte berichtet, sollen in Britz und im Süden Neuköllns ganze Standorte gestrichen werden.

Expertenstreit: Werden 300 oder 136 Millionen gestrichen?

Ein Sprecher der Finanzverwaltung teilte der Berliner Zeitung mit, dass man nicht wirklich von Kürzungen sprechen könne. Auch sei die Summe  nicht so groß, wie von Herrn Kühne behauptet. Im aktuellen Haushaltsentwurf ist „der Ansatz für MEB im Vergleich zum Investitionsprogramm jetzt um 40 Mio. Euro niedriger, bei den Neubauten (inkl. Compartmentschulen) um 86,4 Mio. Euro. Hinzu kommen jeweils rund 5 Mio. Euro für die Sporthallen für 2022 und 2023. Insgesamt liegt der aktuelle Ansatz damit rund 136 Mio. Euro unter dem Investitionsprogramm.“

Man habe die Erfahrung gemacht, so der Sprecher, dass in den letzten Jahren nur Zwei Drittel der im Haushalt eingestellten Mittel abgerufen und verbaut werden konnten. Deshalb hätte man diesmal gleich einen realistische Summe eingestellt. Kritiker wie Torsten Kühne widersprechen dieser Argumentation: In den letzten Jahren seien viele Projekte in der Phase der Planung gewesen, nun kommen man aber bei sehr vielen Schulen in die heiße Phase des Bauens. Und die sei naturgemäß besonders "kostenintensiv".

Deshalb sei es auch nur folgerichtig, dass der Finanzsenator Daniel Wesener die so genannten„Verpflichtungsermächtigungen“ im Jahr 2023 von bislang 423 Millionen Euro auf 819,6 Millionen aufgestockt hat. Eine Verpflichtungsermächtigung ist allerdings deutlich weniger Wert als ein echter und ungekürzter Haushaltsansatz.

Durch den Ukraine-Krieg verschärft sich der Schulplatzmangel

Torsten Kühne fürchtet, dass auf diese Weise die dringend nötigen Ausbaumaßnahmen der Berliner Bezirke über einen längeren Zeitraum gestreckt, verschoben und behindert werden, obwohl in Berlin seit Jahren ein drastischer Schulplatzmangel herrscht. Im vergangenen Jahr ging man bei einer Prognose im Rahmen der Schulbauoffensive davon aus, dass die Schülerzahlen durch Zuzug und eine erhöhte Geburtenrate von 2016 bis 2025 um 54.197 Schüler anwachsen. Viele Schulen in Berlin müssen deshalb schon deutlich mehr Kinder pro Klasse aufnehmen, als eigentlich vorgesehen sind.

Dieser Mangel wird nun durch die Aufnahme der aus der Ukraine geflüchteten Kinder und Jugendlichen extrem verschärft. Zwar verfügt die Bildungsverwaltung aktuell noch nicht über valide Zahlen. Doch der für Schule zuständige Staatssekretär Alexander Slotty geht davon aus, dass 15.000 ukrainische Flüchtlingskinder in Berlin ankommen werden, die Schulen brauchen.

Je später man die Schulen baut, desto teurer werden sie

Nun muss man zugestehen, dass der Doppelhaushalt natürlich vor dem Beginn des Ukraine-Kriegs entworfen wurde. Schon damals war jedoch die Kürzung ein großer Fehler, wie der frühere Staatssekretär Mark Rackles in einem Facebook-Kommentar betont: Weil die Verlangsamung des Ausbaus „die Kinder nicht davon abhält, geboren zu werden (Fakt: Geburten- und Zuzugsrate) und kurzsichtig ist, da die (zwingend benötigten) Schulen in den kommenden Jahren definitiv teurer werden als heute (Fakt: Baupreisindex). Wer schnell baut, spart Landesmittel und sichert Zukunft!“

Dass die Berliner Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse und ihre Staatssekretäre zugelassen haben, dass der Haushaltsentwurf in dieser Gestalt den Senat passieren konnte, wird von einigen Parlamentariern auch damit erklärt, dass sie vielleicht etwas überfordert und noch mit der Einarbeitung in die diversen Finanzierungsfragen beschäftigt waren.

Die Kürzungen müssen und können zurückgenommen werden

Aktuell wird im Parlament über die Kürzungen diskutiert – und darüber, dass dieser große Fehler korrigiert werden muss. „Dass das jetzt passieren soll, das macht mich sprachlos“, sagt Paul Fresdorf, der bildungspolitische Sprecher der FDP. „Wir alle wissen, wie notwendig es ist, neue Schulplätze zu schaffen. Dass der rot-grün-rote Senat bei der Schulbauoffensive so viel Geld einsparen will, ist leichtsinnig und zeigt, dass Bildung keinen hohen Stellenwert hat für die Koalition.“

Die FDP hat bei der ersten Lesung des Doppelhaushalts im Bildungsausschuss etliche Berichtsanträge zur Schulbauoffensive eingereicht, die in den nächsten Wochen beantwortet werden. Grundsätzlich hält Fresdorf es für möglich, dass die 300 Millionen Euro für die Schulbauoffensive noch durch einen kompletten Umbau des Haushalts freigesetzt werden können. „Schließlich haben viele verstanden, was durch den Ukraine-Krieg alles auf die Berliner Schulen zukommt.“