Die Pfaueninsel, die Insel der Jugend oder die Museumsinsel sind wohl jedem Berliner bekannt. Tatsächlich jedoch hat Berlin rund 50 Inseln, die meisten davon sehr klein und unbewohnt mit aparten Namen wie Baumgarteninsel oder Kratzbruch, Lohmühleninsel und Liebesinsel.
In der Havel hören die Eilande auf Namen wie Eiswerder, Großer und Kleiner Wall, Pionierinsel, Lindwerder, Imchen, Kälberwerder, den erwähnten Pfaueninsel und Schwanenwerder. Im Tegeler See hören alle Inseln auf die Endung Werder: Hasselwerder, Lindenwerder, Reiswerder, Baumwerder, Valentinswerder und Maienwerder. Nur die Schulinsel Scharfenberg fällt hier aus der Reihe. Werder ist übrigens die topografische Bezeichnung für Flussinseln.
Mit einer Ziege allein auf der Liebesinsel
Manche Berliner Inseln haben eine interessante Geschichte, wie beispielsweise die Liebesinsel, die in Sichtweite des Paul-und-Paula-Ufers im Rummelsburger See an der Halbinsel Stralau liegt. Die uralte Insel, die von Bäumen bewachsen ist und nur ein paar Meter über die Wasseroberfläche ragt, entstand in der letzten Eiszeit als sogenannte Talsandinsel. Früher wurde sie auch Diebesinsel genannt, man vermutet, dass Räuber und Kleinkriminelle dort ihre Beute versteckten, denn die Liebesinsel ist vom Festland aus nicht erreichbar, es sei denn per Boot oder schwimmend. Eine andere kuriose Geschichte besagt, dass um das Jahr 1880 ein Mann mit einer Ziege auf der Insel lebte, er hatte die Insel für drei Mark gepachtet.

Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die Bucht noch intensiv von Seglern genutzt. Es gab mehrere Segelvereine, die auch Liegeplätze auf der Liebesinsel hatten. Von 1880 bis 1908 gab es sogar ein veritables Inselrestaurant, das Ernst’sche Haus. Damals wurde Service noch großgeschrieben: Die Gäste des Restaurants wurden von einem Diener mit der Fähre vom Ufer abgeholt. Der gastronomische Betrieb endete mit dem Zweiten Weltkrieg, die Insel lag auf der Hauptkampflinie. Heute haben Vögel wie der Specht, der Kleiber und die Meise die Insel zu ihrem Domizil gemacht, außerdem gibt es Biber und Fischotter. In einem noch vorhandenen Keller auf dem kleinen Eiland überwintern sogar Fledermäuse. Wer nun aber einen Ausflug plant, sollte wissen, dass der Rummelsburger See, in dem die Liebesinsel liegt, leider der dreckigste aller Berliner Seen ist - Baden wird hier auf keinen Fall empfohlen. Über 100 Jahre Schwerindustrie an den Ufern des Gewässers haben ihr schmutziges Erbe hinterlassen.
Eine Insel, die von vielen Berlinern wohl gar nicht als solche wahrgenommen wird, ist die künstliche Lohmühleninsel, die 1945 im Zuge des Baus des Landwehrkanals entstand. Das rund 600 Meter lange, schmale Eiland zieht sich zwischen Landwehrkanal, Spree und Flutgraben entlang. Vielen dürfte die Lohmühleninsel bekannt sein durch Lokale wie den Freischwimmer, den Biergarten Birgit oder natürlich das Badeschiff. Außerdem wartet die Lohmühleninsel mit Raritäten wie der ersten Berliner Tankstelle mit Raststätte auf – und dem letzten erhaltenen Zollhaus. Zu DDR-Zeiten war sie Teil der Grenze zwischen Ost- und Westberlin.
Gut bestückt mit Inseln ist der Tegeler See. Die größte ist Scharfenberg, bekannt durch die Schulfarm – eine Schule auf einer Insel, zu der man nur mit einer Fähre gelangt, das ist sicherlich eine Besonderheit. Bis heute dürfen nur Schüler und Lehrer Scharfenberg betreten. In diesem Jahr feiert das Internat Scharfenberg sein 100-jähriges Bestehen, 453 Gymnasiasten werden hier von 47 Lehrern unterrichtet. Die Schule mit Heim, Werkstatt, Wohnhaus, Scheune und Stall ist Baudenkmal. Scharfenberger Schüler sind meist sehr stolz auf ihre Inselschule. Schließlich ist nicht nur die Lage wunderbar, die Schüler können hier auch Wassersport betreiben, reiten, einem Hufschmied bei der Arbeit zusehen, Wildkräuter ernten, Ziegenmilch melken und sogar durch die eigene Hühnerbrut lernen, wie man Betrug bei Bio-Eiern erkennt.
Besuch nur höchst selten
Die Inseln im Tegeler See lassen sich am besten per Ruderboot erkunden. Lara Eichner vom Ruderbootverleih am Strandbad Tegeler See ist froh, als sie endlich mal wieder ein Boot verleiht. Das Strandbad ist etwas abgelegen und sozusagen ein Geheimtipp für Menschen, die überfüllte Bäder nicht mögen. Pro Stunde kostet ein stabiles, türkis-rosa gestrichenes Boot zehn Euro, und in wenigen Minuten ist man damit vor der Insel Lindwerder, die dicht mit Bäumen bestanden ist. Am Steg liegen ein paar Boote.
Den Hauptteil der winzigen Insel nehmen Schrebergärten ein. Besuch bekommt man hier höchst selten, und das ist den Insulanern wohl auch ganz recht. Die Laubenpieper, die gemütlich in der Inselmitte am Tisch beim kühlen Bier sitzen, weisen die Eindringlinge mit dem Ruderboot höflich, aber bestimmt darauf hin, dass das Betreten der Insel für Fremde verboten ist, und geben den Tipp, es mal auf Reiswerder zu versuchen. Dort fährt sogar eine Fähre hin, Besucher seien dort erlaubt. Und es gäbe einiges zu sehen, sogar ein Rathaus. Tatsächlich ist Reiswerder ein Unikum unter den Berliner Inseln. Aber auch hier merkt der Besucher schnell, dass die Insulaner am liebsten unter sich bleiben. „Anschwimmen verboten“ ist – wenig gastfreundlich – auf einem Schild an der Bucht, an der die kleine Fähre anlegt, zu lesen.
Zwei Familien und ein Waschbärenpaar
Der im Deutschen höchst seltene Infinitiv dieses Befehls soll wohl für Badegäste gelten, die gegenüber am Sandstrand liegen und schwimmen, und sie vom Besuch der Insel in Badekleidung abhalten. Den Hauptteil der Insel nehmen auch hier Schrebergärten ein, und da Reiswerder keine Stromversorgung hat, haben fast alle Solardächer. Vor einer Gartenlaube harken zwei Insulanerinnen die Erde. Auf die Frage, wie man an eine solche traumhafte Laube herankommt, lautet die Antwort: „Da kalkulieren Sie mal mindestens zwei Jahre Wartezeit!“ Die Ältere der beiden korrigiert sogleich: „Ne, junger Mann. Mindestens zehn Jahre!“ Was wohl heißen soll: Man möge erst gar nicht versuchen, sich hier niederzulassen. Ganzjährig leben, so geht das Gerücht, nur zwei Familien sowie ein Waschbärenpaar auf der Insel.

Am feinsandigen, rund fünf Meter langen „Badestrand“ der Insel sitzt eine ältere Frau auf einem Plastikklappstuhl und döst vor sich hin, auf dem Wasser kreuzen kleine Jachten vorbei und alle Stunde mal ein Ausflugsdampfer – viel los ist hier nicht. In der Mitte des Eilands, neben dem Fußballplatz, gibt es tatsächlich ein hölzernes, 100 Jahre altes Rathaus – mit der Aufschrift: „Rathaus“, samt Turm und Turmuhr. Hier tagt der Inselbürgermeister und hier werden die Inselfeste vom Vergnügungsausschuss geplant.
Ansonsten sind die meisten Lauben ältere, schlichte Holzhütten, nur ein modernes Designerhäuschen in Tonnenform mit Panoramafenster sticht heraus. Ein kleines Holzschild weist zur „Museumslaube“ hin. Diese stammt noch aus den Anfangsjahren des Vereins der „Naturfreunde von Baumwerder - Reiswerder e.V.“ Doch ein Insulaner, der auf einmal aus dem Nichts auftaucht, verweist die Eindringlinge des Platzes: Dies sei kein Museum, die ist privat vermietet, lautet seine Auskunft.
Also hin zur Inselbaude, dem Restaurant der Mini-Insel. Neben der Eingangstür weist ein Schild darauf hin, dass Fotos zu machen zwar erlaubt sei, man solle sie aber bitteschön nicht ins Internet stellen. Die selbst gemachten Buletten, der selbst gemachte Kartoffelsalat und das Kellerbier, das die freundliche Wirtin serviert, sind fabelhaft und preiswert. Mit den Insulanern sei die kleine Kneipe voll ausgelastet, deswegen möchte man „in der Stadt“ nicht allzu bekannt werden, rechtfertigt sie die Geheimnistuerei. Man pflegt ein entspanntes Inselleben, mehr als drei Tische hat die Inselbaude nicht. Dazwischen steht ein alter, dicker Kupferkessel. „Dort hat man früher das Inselbier gebraut“, weiß die Wirtin.
Am späten Nachmittag hat der Fährmann, der ein ausgemustertes DDR-Rettungsboot zwischen Festland und Insel steuert, viel zu tun: Am Steg warten 15 Personen auf die Überfahrt, mehr, als das betagte, aber ziemlich schnelle Boot fasst. „Da müssen wir zwei Fahrten machen“, gibt der Fährmann bekannt.
Die Museumslaube auf Reiswerder wird tageweise an Gäste zur Übernachtung vermietet. Anfragen an museumslaube-reiswerder@gmx.de








