Berlin-Neukölln

Tödlicher Sturz auf Abi-Feier: Nun läuft die Hilfe für die anderen Schüler an

Eine 17-jährige Berlinerin stirbt nach Sturz vom Dach aus acht Metern Höhe. Die Schule reagiert mit bewegenden Worten. In der Schule helfen nun Psychologen.

Das Unglück ereignete sich in einem Nebengebäude des Estrel-Hotels in Neukölln.
Das Unglück ereignete sich in einem Nebengebäude des Estrel-Hotels in Neukölln.Morris Pudwell

Es ist das Dramatischste, das bei einer Abi-Feier passieren kann: Eigentlich werden da die bestandenen Prüfungen ausgiebig gefeiert, das Ende der Schulzeit und der Beginn eines neuen Lebensabschnitts – doch dann endet das alles mit einem Todesfall. So wie am frühen Montagmorgen in Berlin-Neukölln. Bei einer Abschlussfeier von Schülern des Pankower Rosa-Luxemburg-Gymnasiums sind zwei 17-Jährige verunglückt. Ein Mädchen starb kurz danach im Krankenhaus an den Folgen ihrer Verletzungen.

Die Schule reagierte entsprechend: Am Montag war die erste Seite des Internetauftritts fast vollständig schwarz. In weißen Buchstaben stand dort: „Unendliche Trauer. Keine Antwort. Schmerz, der tief geht und nicht weichen wird. Das Rosa-Luxemburg-Gymnasium trauert um eine Absolventin. Tage der Freude endeten jäh.“ Zum Abschluss dieser Mitteilung heißt es, dass die Schule in Gedanken bei der Familie der jungen Frau und bei allen Absolventinnen und Absolventen sei.

Die Party lief seit dem Abend, etwa 500 Menschen feierten in einem Flachbau, einem Nebengebäude des großen Hotels an der Sonnenallee. Die Feier sollte offiziell um zwei Uhr am Montagmorgen enden. Gegen 1.25 Uhr sind die beiden Jugendlichen offenbar über eine Feuerleiter auf das Dach des Flachbaus geklettert. Dort gibt es nach Angaben der Polizei eine größere Lichtkuppel aus Kunststoff. Sie soll aus Plexiglas bestehen. Wie das Hotel am Montag mitteilte, hätten sich die beiden Jugendlichen auf dem Dach auf eine Plastiküberdachung gesetzt. „Die Luke ist unter dem Gewicht der beiden eingebrochen.“

Die Polizei schließt Fremdverschulden aus

Die beiden stürzten etwa acht Meter tief. Der Notruf ging um 1.28 Uhr bei der Polizei ein. Offenbar stürzte das Mädchen ungebremst auf den Boden und wurde sehr schwer verletzt. Sicherheitsleute, Eltern und Hotelmitarbeiter versuchten, ihr zu helfen und sie am Leben zu halten. Der Sturz des Jungen wurde dadurch gebremst, dass er auf Behälter für Müll fiel und dann erst zu Boden. Er wurde wohl nur leicht verletzt. Kurz danach trafen vier Rettungswagen und zwei Notärzte ein, die die Wiederbelebung übernahmen. Doch kurz danach starb das Mädchen im Krankenhaus.

Am Unfallort waren auch Notfallseelsorger und sprachen mit den Menschen, die den Unfall miterlebt haben. Fünf von ihnen mussten wegen Schocks behandelt werden.

Die Polizei schließt Fremdverschulden aus und geht von einem Unfall aus. Wie es zu dem Sturz kam, ist noch nicht abschließend geklärt, denn das Dach soll für Gäste des Hotels eigentlich nicht zugänglich sein.

Das Rosa-Luxemburg-Gymnasium in Berlin-Pankow
Das Rosa-Luxemburg-Gymnasium in Berlin-PankowChristoph Soeder/dpa

Solche Abi-Feiern sind keine Schulveranstaltungen und damit auch nicht in deren Verantwortung. Meist werden sie vom Abi-Ausschuss des jeweiligen Jahrgangs organisiert. Das heißt: Für die Party schließen Schüler und Eltern mit einem der vielen professionellen Veranstalter von Abi-Feiern einen Vertrag ab. Oft haben die Veranstalter dann auch das Hausrecht während der Party und stellen das Personal, das für die Sicherheit zuständig ist.

Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch von der CDU zeigte sich betroffen. Sie sagte: „Ich bin tief bestürzt über diesen Unglücksfall.“ Ihre Anteilnahme gelte der Familie, den Angehörigen und der Schulgemeinschaft. „Die genauen Umstände müssen nun aufgeklärt werden.“

„Aus Respekt vor den Eltern“

Am Estrel ist am späten Montagvormittag nichts mehr von dem Unglück zu sehen. Auch keine Polizei ist mehr vor Ort. Am Rosa-Luxemburg-Gymnasium in Pankow lief der Schulbetrieb am Morgen normal an. Unterricht sei nicht ausgefallen, erzählen Schüler.

Gegen Mittag ist der Pausenhof voller junger Leute. Großer Trubel rings um das alte Gebäude in der Kissingenstraße. Die jüngeren Schüler spielen Tischtennis oder Fangen, rennen umher. Die älteren stehen in kleinen Gruppen zusammen und reden. Eine Schülerin erzählt, dass sie von ihren Lehrern vom Unfall erfahren habe. Eine andere, die in der Pause kurz das Schulgelände verlassen hat, erzählt bei ihrer Rückkehr, dass sie bislang nicht über den Namen der beiden Verunglückten informiert wurden. „Und wenn wir die Namen wüssten, sollen wir sie aus Respekt vor den Eltern auch nicht weitertragen“, sagte sie.

Reporter und Kamerateams von Fernsehsendern sind an der Schule unterwegs. Die Schulleitung will derzeit keine weiteren öffentlichen Statements abgeben. Auf dem Schulhof liegen keine Blumen oder Ähnliches. Eine Schülerin sagt: „Es gibt noch keinen Trauerort.“

Solche Orte sind wichtig und werden meist recht schnell nach einem solchen Unglück eingerichtet. Gut ist auch, wenn eine Schule schnell auf der Internetseite reagiert. Das sagte Matthias Siebert der Berliner Zeitung. Er ist der Vorsitzende des Landesverbandes der Schulpsychologen. „Für die Schule ist eine möglichst frühzeitige Kommunikation das A und O im Umgang mit solchen tragischen Fällen“, sagte er. Das sei wichtig, um Gerüchte zu vermeiden. „Gleichzeitig darf es auf keinen Fall Schnellschüsse geben.“ Das könnte kontraproduktiv sein. Wichtig sei, dass das Krisenteam gemeinsam die einzelnen Schritte intensiv berät.

Dabei helfen Psychologen. „In Berlin gibt es für solche Notfälle 26 spezialisierte Kolleginnen und Kollegen“, sagte Siebert. Die Schulen sind in solchen Fällen nicht allein und können zusätzlich auf die sogenannten Berliner Notfallpläne zurückgreifen. Außerdem gibt es Krisenteams, die nach den Vorfällen vor Ort helfen. „Das sind die Dinge, mit denen wir reagieren können“, sagte er.

Die Notfallpläne zeigen mögliche Schritte auf, was die Schule machen kann, zum Beispiel: auf der Homepage reagieren, einen Brief an die Eltern schicken, einen Raum oder Ort schaffen, an dem getrauert werden kann. Dort können Blumen oder Bilder oder Briefe abgelegt werden. „Ganz wichtig sind die fortlaufenden Gespräche innerhalb der Schulgemeinschaft“, sagte er. Denn manche Schüler haben zu solchen Unfällen bestimmte Fantasien oder es kursieren drastische Ausschmückungen zu den Vorfällen. Da sei es wichtig, mit den bekannten Fakten zu reagieren.

Höchst unterschiedliche Reaktionen

Allgemein ist ein solcher Todesfall ein Ereignis, das sehr viele sehr betroffen macht. Auch Fremde, wenn diese davon hören und sich an die Feier ihre eigenen Kinder erinnern. Viel stärker ist natürlich das direkte Umfeld betroffen, die Freundinnen, die Mitschüler, die Lehrerinnen, die Elternschaft. „Aber auch da kann der Betroffenheitsgrad sehr unterschiedlich sein, je nachdem, wie nahe die Einzelnen der verunglückten Schülerin standen“, sagte Siebert.

Jeder geht anders mit Trauer um. Die einen reagieren sofort: Sie weinen, es gibt Zusammenbrüche. Manche fühlen sich taub, andere spüren gar nichts oder zumindest noch keine Trauer. Manche reagieren auch mit einem Satz wie: „Trotz des Unglücks will ich über mein Abi auch glücklich sein dürfen.“ Manche zeigen auch befremdliche Reaktionen und wirken wie gleichgültig. Andere reagieren erst viel später nach einer anfänglichen Schockphase. „Trauer wird sehr unterschiedlich bewältigt“, sagte Siebert.

Die Aufgabe der Helfer nach dem tragischen Unfall ist nun vor allem, die Schülerinnen und Schüler zu stützen und ihnen zu helfen. „Es geht um eine Form der Trauerbewältigung.“ Dafür werden immer auch Orte für Gespräche geschaffen, sowohl für Einzelgespräche als auch in Kleingruppen. Dann muss die Schule gemeinsam mit den Eltern des Opfers abstimmen, welche Persönlichkeitsrechte gewahrt bleiben sollen, welche Fakten an die Öffentlichkeit dürfen, ob im Trauerraum ein Bild aufgestellt werden darf, ob ein Kondolenzbuch ausgelegt wird. „Es geht um ein respektvolles, umsichtiges und achtsames Vorgehen“, sagte Siebert.