Berlin-Beim Thema Verkehr herrscht in Berlin viel Bewegung und doch Stillstand. Am Sonnabend besetzten mehrere Klima-Aktivisten die Baustelle der Autobahn A100 am Treptower Park, mit einigen Hundert Menschen laut teilnehmenden Organisationen wie „Gerechtigkeit jetzt“, „Ende Gelände“ und „Extinction Rebellion“. „Echte Verkehrswende statt neue Straßen, für die Wohnhäuser abgerissen werden!“, forderten sie auf Twitter. Nach mehreren Stunden des Protests begann die Polizei am Nachmittag damit, die Personalien der Beteiligten aufzunehmen und die Menschen von der Baustelle zu führen, wie eine Polizeisprecherin sagte.
Schon am Freitag machten zum Auftakt der Koalitionsgespräche von SPD, Grünen und Linken die Initiativen „Berlin Autofrei“ und „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ mit Kundgebungen auf sich aufmerksam. All die Proteste setzen die Politik unter Druck, in Sachen Verkehrswende zu liefern. „Wir wollten den Fototermin am Freitag stören, um zu zeigen: Wir sind hier, laut und verfolgen die Koalitionsgespräche genau“, sagt Nina Noblé, Sprecherin von „Berlin Autofrei“. Man schaue der Politik auf die Finger beim Thema Verkehr. Aus ihrer Sicht ist das Sondierungspapier für eine künftige rot-grün-rote Regierung in Berlin „völlig unzureichend“.
Gerade von den Grünen erwarten sich Aktivisten und Initiativen deutlich mehr, als in den Sondierungen bisher erreicht. „Von dem, was die Grünen vor der Wahl versprochen haben, ist herzlich wenig übrig geblieben“, sagt Noblé und zählt auf: Kiezblocks, günstiger ÖPNV, Tempolimit 30, mehr Sicherheit auf Geh- und Radwegen kämen in dem Papier nicht vor. Es werde nur auf das Mobilitätsgesetz verwiesen, aber das sei der Mindeststandard.
Ob sich die Grünen da nicht durchsetzen konnten gegen Franziska Giffey (SPD), unter der die Initiative „Berlin Autofrei“ fürchtet, die Verkehrswende könnte zum Stehen kommen? „Ich weiß nicht, was da genau verhandelt wird, ob die Grünen dafür an anderer Stelle bei der SPD einen Zug machen können, ob beim Verkehr Abstriche gemacht wurden für andere Positionen“, sagt Noblé, das könnten sich die Grünen eigentlich nicht leisten. Dafür spiele der Stadtverkehr eine zu wichtige Rolle beim CO2-Ausstoß.
Warum Monika Herrmann keine Verkehrssenatorin wird
Da war es auch aus Sicht der Initiativen ein Rückschlag, dass die frühere Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann nicht für das Amt der Verkehrssenatorin zur Verfügung steht. „Das ist schade“, sagt Noblé, sie habe in Friedrichshain-Kreuzberg vieles modellhaft umgesetzt. Herrmann als Verkehrssenatorin wäre „ein starkes Zeichen gewesen, in welche Richtung es gehen soll“. Das dürften Menschen anders sehen, die sich aufs Auto angewiesen sehen und von Herrmanns Verkehrsberuhigen eher verstört waren. Die Initiative „Berlin Autofrei“ will sich noch mit der Politikerin treffen und auch nach ihren Gründen fragen, nicht anzutreten.
„Das habe ich doch schon hundertmal gesagt: Ich brauche jetzt eine Pause, eine Regierungspause“, erklärt Herrmann jetzt schon am Telefon. Daher sei sie auch nach 15 Jahren nicht mehr angetreten als Stadträtin und Bezirksbürgermeisterin. Die 57-Jährige hatte stattdessen fürs Abgeordnetenhaus kandidiert, aber kein Direktmandat in ihrem Wahlkreis ergattert. Nun verhandelt sie in den Koalitionsgesprächen mit.
Grüne unter Druck?
„In mir erzeugt das keinen Druck“, sagt Herrmann zu den Protesten und Forderungen der Aktivisten und Initiativen. „Das sind Themen, die auch die Grünen haben, da sind wir uns einig, das steht auch in unseren Wahlprogrammen drin.“ Dass nun demonstriert würde, sei für sie logisch. „Wann, wenn nicht jetzt?“ Es sei eben die Aufgabe von NGOs und Aktivisten, auf ihre Themen aufmerksam zu machen. „Ich sage immer: Die Straße muss so aktiv sein wie die Politik.“ Doch kann die Politik auch liefern?
Auch die IG Metall und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) formulieren Wunschzettel an Koalitionsverhandlungen, allerdings auf Bundesebene. Sie stellten am Freitag ein gemeinsames Forderungspapier vor, in dem sie die künftige Regierung drängten, die Energie- und Mobilitätswende entschlossen voranzutreiben. Doch bisher sieht es dort aus, als setzte sich die FDP mehr durch als die Grünen.
Autobahn A100 treibt Aktivisten auf die Barrikaden
Auf Berlin-Ebene kritisieren Klima-Aktivisten und Initiativen vor allem den vorläufigen Weiterbau der A100. „Es gibt keine Notwendigkeit, so viel Geld auszugeben, um den Abschnitt der A100 noch fertig zu bauen“, sagt Nina Noblé von „Berlin Autofrei“, es sei ebenso wenig das richtige Zeichen, „dass im Sondierungspapier ein Ausbau der Autobahn offengelassen wird für kommende Legislaturperioden“. Dass Aktivisten die Baustellen am Sonnabend besetzten, wollte sie nicht verurteilen, „jede Gruppe hat eigene Protestformen, es ist nicht unsere Protestform, aber gut, auf das Thema hinzuweisen.“
Monika Herrmann bleibt trotz der vielen Forderungen scheinbar entspannt. „Es ist ein Sondierungspapier, wir haben noch nicht angefangen, richtig zu sprechen“, sagt die Grünen-Verhandlerin, nächste Woche sehe man weiter. „Es ist klar, alle sind jetzt ganz aufgeregt, aber es macht keinen Sinn, vor den ersten Gesprächen Erwartungen und Befürchtungen zu schüren.“ Die Verkehrswende wolle sie trotz des Verzichts aufs Senatorenamt weiter begleiten: Herrmann kandidiert als Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Mobilität. „Ich mache eine Regierungspause, aber keine Politikpause“, sagt sie.

