Nach ersten Schätzungen leben jetzt 25.000 ukrainische Flüchtlingskinder in Berlin. Wie soll die Stadt mit dieser großen Herausforderung umgehen? Wir haben Menschen gefragt, die sich mit Integration auskennen –aus eigener Erfahrung, durch ihr Nachdenken und berufliches Handeln – sieben Fragen für eine bessere Integration. Hier antwortet die langjährige Kita-Leiterin Gerda Wunschel-Gavlasz.
1. Können die ukrainischen Kinder auf beides vorbereitet werden – auf die Rückkehr in ihr Heimatland und ein mögliches Leben in Deutschland?
Wir sollten davon ausgehen, dass sehr viele Familien nach dem Ende des Krieges in ihre Heimat zurückgehen wollen. Allerdings ändern sich auch Lebensplanungen. Auf jeden Fall finde ich es wichtig, den Kindern ihre ukrainische Muttersprache zu erhalten und ihnen gleichzeitig zu ermöglichen, die deutsche Sprache zu erwerben. Das geschieht am besten, wenn ukrainisch- und deutschsprachige Fachkräfte in der Kita zusammenarbeiten. Dann wachsen alle Kinder einer Gruppe in einem Sprachbad auf.
Es ist schön, wenn deutsche Kinder ein Verständnis anderer Sprachen erwerben und einige Wörter lernen. Das können die Erzieher:innen gut in den Alltag integrieren: Im Morgenkreis wird dann deutsch und ukrainisch gezählt, aber auch zum Beispiel in türkischer oder englischer Sprache, wenn Kinder mit diesen Familiensprachen die Gruppe besuchen. Jede Sprache ist ein Schatz, den es zu hüten gilt.
Wir bitten in unseren Kitas Eltern, ein wenig Zeit aufzubringen, um Familien aus der Ukraine als Paten zur Verfügung zu stehen. Es sind oft einfache Fragen zu beantworten, etwa, wie man einen Kinderarzt findet oder wo man Hausschuhe kaufen kann. Außerdem ist es schön, die Kinder und Eltern sich mit anderen Kindern und Eltern zu vernetzen, indem man sie zum Beispiel einlädt, mit auf den Spielplatz zu kommen.
2. Sollten alle geflüchteten Schulkinder in Willkommensklassen gehen?
Das ist eine schwierige Frage! Wenn genügend ukrainischsprachige Lehrkräfte zur Verfügung stehen, dann sollten ukrainisch- und deutschsprachige Kinder gemeinsam unterrichtet werden und separat ein paar Stunden Deutschunterricht bekommen. Wenn Kinder in Willkommensklassen sind, halte ich es für wichtig, sie mit Kindern aus den Regelklassen zu vernetzen. Schön wäre, wenn diese Lernpatenschaften übernehmen – denn Freundschaften und Bindung verhelfen hier zur Bildung. Sollen ältere Schüler, die in die Ukraine zurückkehren möchten, digital mit dem Lernstoff der dortigen Schulen versorgt werden? Nicht ausschließlich, da sie in Berlin ein möglichst normales Leben haben und Teil der Kindergemeinschaft sein sollten. Eine Kombination von Digital- und Präsenzunterricht könnte jedoch ein möglicher Weg sein.
3. Wenn Sie Berlins Bildungssenatorin wären, was würden Sie jetzt tun?
Ich habe erlebt, dass wir sehr schnell die Genehmigung für die erste Einstellung einer Sprachmittlerin erhalten haben. Dafür bin ich sehr dankbar, denn die Mütter der kleinen Gruppe von fünf Kindern, die am 2. Mai in einer unserer Kitas begonnen haben, sprechen ausschließlich Ukrainisch. Es gibt klare Perspektiven, welche Sprachkurse die ukrainischen Fachkräfte absolvieren werden und welche beruflichen Möglichkeiten ihnen geboten werden. Schwierig finde ich, dass die Aufnahme von Kindern als „Überbelegung“ untersagt wird, weil der Personalschlüssel nicht ausreicht. In Zeiten des Fachkräftemangels ist bei Schwangerschaften oder Kündigungen der Personalschlüssel schnell unterschritten. Hier sollte man den Trägern und ihren Mitarbeitenden vertrauen, dass sie alles tun, um die Situation ins Positive zu verändern und Einstellungen schnellstmöglich vorzunehmen, sobald passende Bewerbungen vorliegen. Die Hilfe geht vor. Also, das würde ich als Senatorin sofort verändern.
4. Wie können wir mehr Räume gewinnen und mehr Menschen, die erziehen und unterrichten?
Es gibt zu wenig Kita-Plätze in Berlin. Und vor allem Kinder mit Migrationshintergrund fallen aus dem System, weil ihre Eltern keine Plätze finden. Sie erhalten weniger Sprachförderung und geistige Anregung und sind dann bereits mit Schulbeginn gehandicapt. Ich engagiere mich im Trägerbündnis „Kitastimme“, und unsere zentrale Forderung an die Politik ist: die schnelle Schaffung von mehr Kita-Plätzen. Auch schlagen wir vor, „Pop-up-Kitas“ in leer stehenden Läden und Büros einzurichten. Familien- und Jugendzentren kommen ebenfalls infrage, wenn die Räume tagsüber nicht genutzt werden. Um mehr Erzieher:innen zu gewinnen, müssen wir noch stärker auf Quereinsteiger setzen und interessierte Menschen mit relevanter Vorbildung ausbilden, auf Frauen und Männer mit verschiedenen Muttersprachen, die die Kinder in ihrer Sprachentwicklung gezielt fördern.
5. Was sind Ihre persönlichen Berührungspunkte mit dem Thema „Einwanderung“?
Ich war lange Zeit Kitaleiterin in einer Kita am Kottbusser Tor, in der wir sehr viele Kinder türkischer Herkunft gebildet und betreut haben. Deshalb habe ich mich mit meinen Kolleginnen intensiv mit Zweisprachigkeit und „vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung“ auseinandergesetzt. Wir hatten sehr gute Erfolge bei dem Versuch, zugleich die Herkunftssprache und die Zweitsprache Deutsch aufzubauen. Durch Elterngesprächskreise in türkischer Sprache wurden die Eltern eingeladen, sich an der Diskussion von Erziehungsfragen in der Kita zu beteiligen. Wir begleiteten Eltern zu Schulanmeldungen, damit die Kinder nicht „Ausländerklassen“, sondern Regelklassen zugeordnet wurden. Teilhabe ist wichtig, unabhängig davon, wo man lebt.
6. Gibt es schon ukrainische Kinder in Ihrem Umfeld? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Aktuell besuchen 25 Kinder aus der Ukraine unsere Kindertagesstätten. Etwa 120 Anfragen konnten wir nicht annehmen, weil wir im Umfeld keine Kitas haben oder die Kitas bereits überfüllt sind. Wir haben erlebt, dass nicht alle bleiben, gerade ist eine Familie ins Ausland umgezogen.
Die Fachkräfte berichten, dass die meisten Kinder trotz der Sprachbarrieren gut angekommen sind. Ein Mädchen ist nie ohne seinen kleinen Rucksack irgendwohin gegangen, sei es in den Garten oder ins Bad. Daran konnten die Erzieher:innen die Auswirkung des Krieges erkennen: Bombenalarm und Schutzsuchen im Bunker, die wichtigen Dinge muss man bei sich behalten.
Im Moment betreuen wir hauptsächlich Kinder, die relativ schnell nach Kriegsbeginn in Deutschland angekommen sind. Wir rechnen damit, dass Kinder, die aus stark umkämpften Orten kommen, traumatisiert sein werden. Deshalb werden wir schnell beginnen, unsere Fachkräfte zum Thema Traumata fortzubilden. Sollten Kinder stark traumatisiert sein, werden wir die Zusammenarbeit mit Therapeuten suchen.
7. Worauf müssen wir achten, damit Integration wirklich gelingt?

