Berlin-Es war sein Lektor Jürgen Hosemann, der am Mittwochabend in der Akademie der Künste aussprach, was vielen da schon schwante: Ihm sei es, als würde Wolfgang Hilbig unterirdisch noch weiterschreiben. Am nachträglichen Geburtstagsabend für den am 31.8.1941 geborenen Dichter und Prosaautor erzählte Hosemann von der Arbeit an der Werkausgabe. Verabredet worden war sie noch mit Hilbig selbst, wenige Monate vor seinem Tod im Jahr 2007.
Auf dem Podium im Saal saßen mehrere Schriftsteller aufgereiht, die sich biografisch und literarisch mit Hilbig verbunden fühlen. Während sie seine Texte vortrugen, ob Gedichte aus drei Jahrzehnten wie Lutz Seiler oder Prosaausschnitte wie Ingo Schulze oder Wilhelm Bartsch, da wechselten langsam Fotos des Geehrten an einer großen Leinwand über ihnen. Da kam es zu Begegnungen. Katja Lange-Müller las aus „Die Flaschen im Keller“; den Erzähler umgibt ein schlieriges, bald schimmliges Gemenge aus vergorenem Obstsaft und unzählbaren Flaschenpyramiden, unheimlich und komisch. Währenddessen schwebte über ihr eine Weile ein Doppelporträt, das sie 1989 mit Hilbig zeigt. Ihr Lachen, das auf dem Bild ja ihm galt, strahlte in den Saal von 2021.
Das größte Geistesabenteuer
Die Fotos wiederholten sich, doch weil es sehr viele waren, dauerte es immer, bis die Schleife neu ansetzte mit dem Passbild des noch jungen langhaarigen Dichters, der als Heizer arbeitete. Bilder aus Meuselwitz bei Leipzig folgten, wo er geboren wurde und in den Siebzigerjahren wieder lebte, Fotos von Signierstunden, Autorentreffen, Gesprächsrunden. Eine Aufnahme von 1990 zeigt ihn vor einer Hauswand, auf die in großen Buchstaben „Satan forever“ gekritzelt steht. Darunter saß Lutz Seiler, das dunkel pochende Gedicht über den Raben von Edgar Allan Poe vortragend, es klang wie ein Echo: „uns vor der stirn das krächzen/ dies ekle/ ever/ nevermore“. Die Vortragenden, die ja alle selbst schreiben, verwandelten ihre Stimmen, ihr Sprechtempo, um Hilbig nah zu sein und dem Publikum nahezubringen.
