Berlin

Unter Ralf Ludwig verschwanden beim MDR Millionen, nun wird er Intendant

Und auf sein Ruhegeld will er auch nicht verzichten. In der Krise der Öffentlich-Rechtlichen zementiert der MDR weiter Privilegien.

Der bisherige Verwaltungsdirektor des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), Ralf Ludwig, ist zum neuen MDR-Intendanten gewählt worden.
Der bisherige Verwaltungsdirektor des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), Ralf Ludwig, ist zum neuen MDR-Intendanten gewählt worden.Rico Thumser/epd

Wer dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) eine Rechnung zukommen lassen will, schickt sie nicht einfach los, nein! Er braucht eine Auftragsbestätigung, eine Vertragsnummer, eine Content-Item-Nummer sowie eine PSP-Element-Zahl. Was immer die Ziffern bedeuten, sie gehören alle auf die Rechnung. Das wirkt überambitioniert und ist klar die Folge von Betrugsmanövern mit erfundenen Rechnungen, die dem Sender in den Nullerjahren untergejubelt wurden. Der frühere Herstellungsleiter des Kinderkanals Marco Kirchhof hatte das praktiziert, zum Beispiel Ausgaben für eine Bühne abgerechnet, die nie geliefert, bespielt und wieder abgebaut worden war. Hat kein Mensch gemerkt. Der MDR vermisste die unterschlagenen sechs Millionen nicht mal. Auch die bizarren Finanz-Jonglagen des Fernseh-Unterhaltungschefs in dieser Zeit fielen nicht auf. Fake-Rechnungen kommen im MDR heute nicht mehr vor und das ist gut so.

Marco Kirchhof in seiner Wohnung in Berlin
Marco Kirchhof in seiner Wohnung in BerlinEmmanuele Contini

Fast könnte man dem Eindruck aufsitzen, diese Drei-Länder-Anstalt für Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt habe sich nach vielen Skandalen zu einem Muster an Redlichkeit für die ARD entwickelt, Fehlerquellen abgestellt und alles aufgearbeitet. Jetzt, wo der kleine RBB ganz andere Summen aufklären muss und sich ein Bataillon von Anwälten über das System der geschassten Intendantin beugt, der 338.000 Euro Gehalt offenbar nicht reichte. Zusätzliche Boni, windige Beraterverträge, maßlose Finanzplanungen, zig Millionen Defizite im Sender – die ausufernde Selbstbedienungsmentalität auf der Leitungsebene stürzte das ganze öffentlich-rechtliche System in die gefährlichste Krise seit seiner Gründung. Man denkt, die ARD würde dieses unschätzbare Geschenk der Nachkriegszeit schon aus Eigennutz mit Zehen und Klauen verteidigen. Doch nein, weiter braucht der RBB den Zorn der Mitarbeiter, Streik und Protest, um das Festhalten an Privilegien in den Hierarchien zumindest infrage zu stellen.

Derzeit klagt Ex-Intendantin Patricia Schlesinger auf monatlich 18.400 Euro Ruhegeld. Ruhegeld ist eine interessante Form von Zusatzzahlungen: Sie geht an Leitungsmitglieder, wenn diese den Sender verlassen wollen oder müssen, aber noch zu jung sind für Rente. Niemand soll verarmen. Eine so himmlische Regelung gilt derzeit auch für den MDR-Verwaltungsdirektor Ralf Ludwig. Die wollte er gerade hinüberretten in sein nächstes Amt als Intendant ab November 2023. Aus der Belegschaft aber gab es rechtzeitig vor der Wahl verärgert Widerspruch für „als unanständig empfundene, üppige Dienstverträge“ mit Ruhegeldern. Der Gesamtpersonalrat wünschte laut Sächsischer Zeitung, dass Ludwig als Intendant darauf verzichtet.

Ach, immer diese Fragen zu Gebührengeldern!

Und? Verzichtet er? Immerhin erwartet den 54-Jährigen demnächst ein Gehaltssprung von jährlich 275.000 auf vermutlich 310.000 Euro als Intendant. Er könnte was zurücklegen. Die MDR-Pressestelle ignoriert die Frage der Berliner Zeitung nach diesem Verzicht beflissen, antwortet auch beim zweiten Anlauf nicht einfach mit Ja oder Nein, sondern verweist auf den MDR-Geschäftsbericht, Paragraf 30. Aber wird der nicht erst fertig, wenn der Intendant im Amt ist? Ach, immer diese Fragen zu Gebührengeldern! Als gingen die jeden etwas an. Gehen wir einfach davon aus, dass alles bleibt, wie es ist. Für die scheidende MDR-Intendantin Karola Wille wird der Barwert ihrer Pension mit 4,6 Millionen Euro ausgewiesen.

Bei der Intendantenwahl im März bekam Ralf Ludwig zwölf Gegenstimmen, wobei er keinen Konkurrenten hatte. In den endlosen sächsisch-thüringisch-anhaltinischen Weiten konnte der Verwaltungsrat unter 29 Bewerbern nur diesen einen einzigen geeigneten Kandidaten herausfiltern: Ralf Ludwig, geboren in Borna, seit 1999 beim MDR. Kein fernsehbekanntes Gesicht wie in den meisten ARD-Sendern, sondern ein Verwalter. Im Senderverbund genießt er laut FAZ als Finanzmanager einen guten Ruf, kompetent und sachkundig.

Doch war er nicht auch Leiter der Hauptabteilung Finanzen, als unter seiner Aufsicht jahrelang die Millionen im Kinderkanal verschwanden und die Finanzen in der Fernseh-Unterhaltung ihr Eigenleben entwickelten? Klar, war er. Aber er sei nicht für die „unmittelbare Kontrolle“ der Vorgänge zuständig gewesen, erklärt die Pressestelle. Wer dann? Wer von den Herrschaften mit den hohen Gehältern trug die Verantwortung und wurde gefeuert? Na keiner.

Der MDR sonnt sich in vermeintlich vorbildlicher Aufklärung

Die Pressestelle schickt statt einer Antwort ernsthaft eine Verlautbarung von 2011. Die erwähnt den damaligen Verwaltungschef, der sich ohne Schuldanerkenntnis freiwillig verabschiedete. Seitdem sonnt sich der MDR in vermeintlich vorbildlicher Aufklärung. Die war damals noch am Anfang. Privatermittler präsentierten erst 2015 ihren Untersuchungsbericht und die Rechnung dafür: 6,63 Millionen Euro, laut Thüringer Allgemeine ein Auftrag ohne Ausschreibung. Der MDR schweigt dazu bis heute und hält die absurd teure Untersuchung unter Verschluss. Vielleicht beschreibt sie, dass der Betrug in einem höchst einladenden Umfeld stattfand, in einem System undurchsichtig verschachtelter Tochterfirmen.

Geht die Öffentlichkeit alles nichts an. Der Herstellungsleiter Marco Kirchhof wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt und hat jetzt ein Buch über seine Spielsucht geschrieben. Darin steht er zu seiner Schuld und erinnert sich, wie leicht ihm der Betrug wegen mangelnder Kontrolle gemacht wurde. Wie der Kinderkanal für überteuerte MDR-Tochterfirmen zahlen musste, weil der in einer Stadt ohne Medienumfeld angesiedelt worden war. Wie Jahresabrechnungen des Senders keinesfalls einen Überschuss ausweisen durften, Wettbewerb unerwünscht war. Wie er zu „Finanzzauberei“ gedrängt wurde, wenn sich ein Chef ein teures Abschiedsfest wünschte.

Der künftige MDR-Intendant wird den Bericht und die Macken im System gut kennen, vielleicht kam deshalb kein anderer Kandidat infrage für den Posten. Nach seiner Wahl ließ Ludwig auch Sparwillen erkennen. Nein, nicht beim Ruhegeld. Aber bei Journalistenstellen, da könne er keine Garantie geben, dass es künftig nicht zu Streichungen komme. Zugleich kündigte er eine regionalere Ausrichtung des Senders an, eine Konzentration auf die Digitalisierung, Bildung und Information. Und einen Erzgebirgskrimi wie im ZDF, den wünsche er sich auch für seinen Sender. Klingt das nach Aufbruch in der existenziellen Krise der Öffentlich-Rechtlichen – oder nach „weiter so“?

Nach seiner Wahl ließ Ludwig Sparwillen erkennen – bei Journalistenstellen

Jüngst hat WDR-Chef Tom Buhrow eine Reform des Systems streng angemahnt – mit neuer Verfassung, rundem Tisch, ohne Denkverbote wie eine Zusammenlegung von ARD und ZDF. Man wird jetzt die Beharrungskräfte der Anstalt kennenlernen. Die Übergangs-Intendantin des hoch verschuldeten RBB lässt sich zu 295.000 Euro Jahresgehalt noch monatlich 1000 Euro Mietkostenzuschuss überweisen. Der MDR-Chef wünscht weiter Ruhegeld für sich und seine Lieben und einen neuen Krimi. Es gibt keine Fake-Rechnungen mehr, nur ARD-Pensionsansprüche in wachsender Milliardenhöhe.