Stadtpolitik

Umzug der Zentralbibliothek in die Friedrichstraße: Wenn ein CDU-Senator einen Revolutionär zitiert

An der Amerika-Gedenkbibliothek wird ein Pop-up-Bau eingeweiht, ein Raum für kleine und große Treffen. Und Joe Chialo wirbt für das Lafayette-Haus.

Kultursenator Joe Chialo (l.) und Volker Heller, Generaldirektor der ZLB, eröffnen den neuen Bau.
Kultursenator Joe Chialo (l.) und Volker Heller, Generaldirektor der ZLB, eröffnen den neuen Bau.Markus Waechter/Berliner Zeitung

Wenn zwei erwachsene Männer, deren Titel und übliches Auftreten Seriosität ausstrahlen, vor Publikum ein spaßiges Tauziehen veranstalten, wenn ein CDU-Mann Che Guevara zitiert, dann muss schon Ungewöhnliches vorgefallen sein. Rund um die Amerika-Gedenkbibliothek, wo sich beides am Sonntagvormittag beziehungsweise am Freitagabend zugetragen hat, geschieht gerade mehr auf einmal als in den vergangenen 30 Jahren. Die Zeitrechnung beginnt mit dem Zusammenschluss dieser historisch bedeutsamen West-Berliner Institution mit der (Ost-)Berliner Stadtbibliothek zur Zentral- und Landesbibliothek (ZLB). Am Sonntag eröffneten Berlins Kultursenator Joe Chialo und der ZLB-Generaldirektor Volker Heller gemeinsam das AGB PopUp am Blücherplatz, einen Ergänzungsbau für die überfüllte Bibliothek. Zur Freude der Fotografen rangelten sich die Herren um die rote Schleife vor der Tür zum Anbau.

Das lange, schmale Gebäude mit 850 Quadratmetern Grundfläche ist in Modulbauweise von dem Berliner Büro Kaiser Architekten entworfen worden, man sieht der Konstruktion mit Holzscheiben und Lamellen an, dass sie nicht für die Ewigkeit geplant ist. Noch vor dem ersten Spatenstich im Mai 2022 gehörte das Wort „temporär“ zur Beschreibung. Schon damals war der Architekturwettbewerb für den eigentlich hier am Blücherplatz beschlossenen Neubau der Zentral- und Landesbibliothek überfällig.

Ein paar Schritte Frischluft

Man kann den Pop-up-Bau durch den Haupteingang erreichen, indem man durch die Freihandbibliothek geradeaus spaziert und den Lesesaal für zehn Schritte in Frischluft verlässt. Von der Blücherstraße aus ist eine graue Holzfassade mit schmalen Schlitzen zu sehen, die Fenster hin zum Lesesaal sind größer. Ein Saal auf der rechten Seite bietet Platz für 199 Menschen, die schlichten Möbel aus gepresster Pappe machen einen so ökologisch vorbildlichen Eindruck wie das Angebot im Bioladen.

Blick in den großen Saal des AG-Pop-up-Gebäudes, der knapp 200 Menschen Platz bietet.
Blick in den großen Saal des AG-Pop-up-Gebäudes, der knapp 200 Menschen Platz bietet.Markus Waechter/Berliner Zeitung

Links schließen sich mehrere kleine Räume an, die Gruppen unterschiedlicher Größe nutzen können: Für studentische Projekte, für Lesezirkel, für Beratungen von Kiez-Initiativen – kurz: für alles, wofür die AGB keinen Platz mehr hatte. Einen Ausblick auf die Möglichkeiten zeigte sie mit dem Eröffnungsprogramm bis in den Abend, mit Lesungen, Wirtschaftsgespräch und Tanz-Workshop.

Bereits am Freitagabend empfing der große Saal ein großes Publikum. Die Landesorganisation des Deutschen Bibliotheksverbandes veranstaltete eine öffentliche Tagung unter dem Titel „Bibliothek findet Stadt!“. Damit war das AGB-Pop-up eigentlich schon Geschichte: Alle Vorträge und die Podiumsdiskussion drehten sich um den am Montag zuvor veröffentlichten Vorschlag des Kultursenators, die Standorte der ZLB im Quartier 207 an der Friedrichstraße zusammenzuführen. Während die Vertreter der ZLB und aus Oslo angereiste Kollegen diese Idee enthusiastisch unterstützten, übernahmen die Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg Clara Herrmann und Daniel Wesener, Sprecher für Kulturfinanzierung in der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus, die Rolle der Bedenkenträger.

Der Pop-up-Bau von der Blücherstraße aus gesehen
Der Pop-up-Bau von der Blücherstraße aus gesehenMarkus Waechter/Berliner Zeitung

Noch ist die Idee nicht im Detail durchgerechnet, Chialo verwies allerdings auf eine Plausibilitätsprüfung durch Experten des Senats, die den Umbau der jetzigen Galeries Lafayette für möglich halten. Dass in der Politik nicht sofort Begeisterung herrschte, wurde auch in dieser Zeitung bereits berichtet. Clara Herrmann verwies auf den lokalen Aspekt, auf die „historische Verantwortung“ für die Amerika-Gedenkbibliothek (AGB), finanziert aus Mitteln des Marshallplans für die Inselstadt West-Berlin. Die AGB sei ein dritter Ort, was jetzt für den neuen Standort als Argument angeführt werde. „Hier kommen die Menschen zusammen“, sagte sie, „ich würde es sehr bedauern, wenn Kreuzberg diesen Standort verlieren würde.“

Sie bekam später mehrfach Unterstützung aus dem Publikum. Der ZLB-Chef Volker Heller wurde nicht müde zu betonen, dass es die Politik war, die den bereits beschlossenen Neubau an diesem Platz gestoppt hatte. Daniel Wesener sprach detailliert über die haushaltsrechtlichen Tücken, weil er als Abgeordneter und Finanzsenator schon andere Kulturprojekte begleitet habe. Joe Chialo ließ sich von keinem Argument den Optimismus nehmen. Und nachdem einige Kommentatoren in der vergangenen Woche seinen Vorschlag revolutionär genannt hatten, setzte der CDU-Mann nun noch eins drauf und zitierte einen Revolutionär. „Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche“, sagte er mit Che Guevara.