Es ist erst ein paar Wochen her, dass Demonstranten gegen die Corona-Politik sich einen Davidstern mit dem Schriftzug „ungeimpft“ anhefteten und diskutiert wurde, ob das nur Geschichtsvergessenheit oder schon Holocaust-Relativierung sei. Weit brachialer geht es in den dunklen Ecken des Internets zu: Da wird Covid-19 zur „Rothschild-Seuche“ und die Impfung zur „Judengiftimpfung“ erklärt.
Von „Jud Süß“ bis zu Björn Höcke
Der heutige Antisemitismus arbeite sich gar nicht an den realen jüdischen Menschen ab, sondern nutze „den Juden“ als Projektionsfläche, erklärt die Medienwissenschaftlerin Lea Wohl von Haselberg in der ARD-Doku „Jud Süß 2.0“. Der Film will den visuellen Ursprüngen der neuen judenfeindlichen Bilderwelten nachgehen und sie dekonstruieren. Der Autor Felix Moeller hat als Quelle vor allem das NS-Regime ausgemacht, das die antisemitischen Stereotype zwar nicht erfunden, aber dank ihrer Massenmedien unter einem Millionenpublikum verbreitet hatte. Moellers Film zeigt, wie AfD-Mann Höcke sich mit einem Gerede von „globalen Herrschaftskraken“ an Hitlers Reden über „heimatlose Kosmopoliten“ anlehnt, wie Warnungen vor einer angeblich drohenden „Umvolkung“ durch Muslime in Ungarn genauso illustriert wurden wie der Einmarsch der Juden ins mittelalterliche Stuttgart im NS-Hetzfilm „Jud Süß“.
Die Doku diskutiert auch den Umgang mit den sogenannten Vorbehaltsfilmen, die nur mit Einführung gezeigt werden können, aber als Raubkopien kursieren. Selbst in NS-Trickfilmen wurde antisemitisch gehetzt: „Aber wie es Abend ward, ging der Jude durch den Wald, mit Sack und großem Bart.“ Dass heutige Filme solche Zerrbilder mitunter auch unbewusst verbreiten, zeigt ein Filmausschnitt aus „Harry Potter“. Die Goblins, die das Gold bewachen, tragen lange Nasen und Ohren wie auf Juden-Karikaturen des NS-Hetzblattes „Der Stürmer“.
Die Bilder sprechen lassen
Wer wissen will, woher all die judenfeindlichen Klischees und Mythen stammen, der kann sich im Arte-Vierteiler „Eine Geschichte des Antisemitismus“ auf einen faktenreichen Exkurs durch die letzten 2000 Jahre begeben. Der Autor Jonathan Hayoun setzt anno 38 in Alexandria ein, als der Bibliothekar Apion gegen die jüdische Bevölkerung hetzte und eine Legende in Umlauf brachte: Juden vollzögen in ihren Tempeln heimliche Ritualmorde, um mit dem Blut der Opfer religiöse Speisen zu backen. Neid und Missgunst gegen die prosperierende jüdische Gemeinde führten zum ersten belegten Pogrom. Viel später wurde mit dem Gerücht, „die Juden“ hätten ein Kind geschlachtet, ein Pogrom motiviert: So wurden im Sommer 1946 im polnischen Kielce über 40 Menschen, die gerade erst dem Holocaust entronnen waren, ermordet.
Auch wenn der Vierteiler über weite Strecken eine wortreiche theoretische Diskussion von Dutzenden Experten über die religiösen, ökonomischen und politischen Ursachen der Judenfeindlichkeit ist, so haben die Macher viel unternommen, um die Bilder sprechen zu lassen. Historische Szenerien werden im Computer anschaulich reanimiert, besonders dramatische Momente in scherenschnittartigen Trickfilmen illustriert. Immer wieder wird in der Kunst nach Ursprüngen antijüdischer Bilder gesucht. Im 12. Jahrhundert wollte die Papst-Kirche die Juden äußerlich herabsetzen und stellte sie in Wandbildern mit Hüten, kleinerem Wuchs, dunklerer Haut und einem gelben Ring auf der Kleidung dar. Ein Schmuckkästchen im Louvre von 1170 zeigt einen Juden zum ersten Mal mit Hakennase – ein Bild, das bis heute in Online-Foren genutzt wird.
Jud Süß 2.0. Vom NS- zum Online-Antisemitismus. Mo, 11.4., 23.35 Uhr, ARD, ein Jahr lang in ARD-Mediathek.


