Warum sponsert Palantir die Ausstellung „Dimensions“? Diese Frage leitet den jüngst veröffentlichten, offenen Brief „Artwashing Leipzig“ ein. Darin hallt eine Kritik nach, die sich seit Wochen in den progressiveren Ecken der deutschen Kunstszene vernehmen lässt. Es geht, wie die Frage andeutet, um die Unterstützung der am 19. April eröffneten Ausstellung „Dimensions“ in Leipzig durch das US-Datenanalyse- und Überwachungsunternehmen Palantir. Der Brief wurde von Hunderten Personen aus dem Kunst- und Kulturbereich unterzeichnet, darunter etwa Hito Steyerl, Charlotte Eifler und Boaz Levin.
Palantir, der Hauptförderer der Ausstellung, gilt als Ersteinnahmequelle des rechtslibertären Tech-Giganten und Paypal-Gründers Peter Thiel. Die Schau selbst widmet sich dem Thema Digitalkunst, die hier auf monumentalen, knapp 10.000 Quadratmetern in den Leipziger Pittlerwerken zu sehen ist. Neben zeitgenössischen Künstlern wie Refik Anadol oder Matt Deslauriers umfasst das Ausstellungskonzept auch Historisches. Der Dialog zwischen Kunst und Technik, so lautet die Botschaft, ist Kern sozialer sowie ästhetischer Erneuerung.
Dass Kunst kulturgeschichtlich auch die Rolle zukommt, politisch-ökonomischen Interessenlagen gegenüber als moralisches Korrektiv und/oder subversives Gegengift zu agieren, wird in dieser Ausstellung – in Anbetracht ihrer Geldgeber – offenbar bequem ignoriert. „‚Dimensions‘ erscheint als Versuch, von der politischen Dimension des Digitalen abzulenken und die Geschichte des Digitalen vornehmlich als ästhetisches Phänomen zu vereinnahmen“, so liest es sich, zugespitzt, in dem offenen Brief. Fragen nach demokratischer Kontrolle von Überwachungstechniken würden dabei schlicht „ausmanövriert“.
Der Kunst-Impresario Walter Smerling
Ins Leben gerufen wurde die Ausstellung vom Kulturmanager Walter Smerling. Bereits letztes Jahr war Smerling in die Kritik geraten, damals anlässlich der Eröffnung der „Kunsthalle Berlin“ in den Hangars des einstigen Flughafen Tempelhof. Candice Breitz, Zoe Claire Miller und zahlreiche weitere zentrale Figuren der Berliner Kunstszene hatten zum Boykott jener Initiative aufgerufen. Wichtige Teilnehmende wie Yael Bartana und Katja Novitskova zogen kurz vor Eröffnung ihre Werke zurück.
Kritisiert wurde schon damals die finanzielle (und symbolische) Unterstützung der Smerling’schen Kunst-Aktivitäten durch dubiose Geldgeber oder private Vertrauten wie Lars Windhorst und Gerhard Schröder. Aber auch, dass die de facto private „Kunsthalle Berlin“, deren Titel Gemeinnützigkeit suggerierte, vom Senat zwar mit öffentlichen Geldern bezuschusst, von Smerling selbst aber nur per teurer Eintrittskarte für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Überhaupt stieß auf, dass Smerlings Projekte massive, öffentliche Zuwendungen erhielten. Immerhin versuchte die Berliner freie Szene ihrerseits seit Jahrzehnten erfolglos, eine nicht-private Berliner Kunsthalle zu starten. Der Fall Smerling brach somit auch eine Debatte über kulturpolitische Unverhältnismäßigkeit vom Zaun: zwischen komplizierten Projekt- und Förderanträgen für relativ kleine Geldsummen einerseits – und offenbar leichtfertig zugespielten Beträgen bis in den siebenstelligen Bereich an prestigeversprechende Privatprojekte andererseits.
Und dann war da noch Smerlings berüchtigte Wanderausstellung: „Diversity United“, quasi der Vorläufer zur „Kunsthalle Berlin“ – immerhin hatte sie schon 2021 in denselben Räumlichkeiten stattgefunden. Für die Moskauer Variante führte „Diversity United“ niemand geringeren als Schirmherren ins Feld als Wladimir Putin. Die personelle Struktur hinter der mit einer Million vom Außenministerium bezuschussten Ausstellung war indes himmelschreiend un-divers: Der Projektbeirat bestand aus zwölf weißen Männern, das kuratierende Team aus zehn weißen Personen.
Im Unterschied zu „Diversity United“ hat Smerling, wie eine Sprecherin jüngst beteuerte, für die Leipziger „Dimensions“-Schau auf öffentliche Fördermittel verzichtet. Seinerseits eine kluge Entscheidung. Dass hier nun stattdessen ausgerechnet Palantir als privater Hauptsponsor in Erscheinung tritt, wirkt angesichts der Querelen Smerlings mit der Kunstwelt ein bisschen wie ein Mix aus ungeschicktem Stolperer und gewollt ausgestrecktem Mittelfinger.
Dass es sich um „Artwashing“ handelt, begründet der offene Brief mit der abgründigen Funktionsweise und dem problematischen Einsatz von Palantirs Produkten. So stand die Firma in der Vergangenheit etwa für ihre enge Kooperation mit der Trump-Regierung in der Kritik, die Palantirs Software zur Verfolgung minderjähriger Migrantinnen nutze. Das Überschreiten ethischer Grenzen, so heißt es im Brief, gehöre bei Palantir mit zum Geschäftsmodell.

Tatsächlich werden Palantirs Analysetools unter anderem für sogenanntes predictive policing genutzt, sprich den Versuch der Vorhersage in der Zukunft liegender Straftaten. Für teils rassistische Vor-Annahmen in diesem Kontext standen Palantirs Produkte auch in Deutschland – Polizeibehörden in Hessen und Nordrhein-Westfalen nutzen etwa die Palantir-Software „Gotham“ – in der Kritik. Der Jurist und Syndikus der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. ,Bijan Moini, argumentierte schon 2022, „Gothams“ Einsatz durch die deutsche Polizei beruhe auf mindestens unzureichenden, rechtlichen Grundlagen. Keine Frage: Vorstellung, dass deutsche Behörden softwaregesteuerte Persönlichkeitsprofile von Menschen erstellen können soll, noch dazu von solchen, die sich noch nie etwas haben zuschulden kommen lassen, klingt dystopisch. Am 16. Februar 2023 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Datenanalyse zur vorbeugenden Straftaten-Bekämpfung für verfassungswidrig.
Eine Auseinandersetzung mit Peter Thiels politischer Ideenwelt scheint die Sorge, der in dem offenen Brief Ausdruck verliehen wird, noch weiter zu untermauern: In „The Straussian Moment“, ein Buch, das Thiel kurz nach Palantirs Gründung, 2004, veröffentlichte, schreibt Thiel etwa: „Anstelle der mit endlosen und ergebnislosen parlamentarischen Debatten gefüllten Vereinten Nationen […] sollten wir Echelon […] als entscheidenden Weg zu einem wahrhaft globalen Pax Americana betrachten.“ Bei Echelon handelt es sich um das größte Spionage- und Überwachungsnetzwerk der Welt.
Belastete Ost-Geschichte mit Überwachungstechnik
Dass Palantir nun versucht, sich mithilfe Smerlings in den Pittlerwerken den schlechten Ruf aufpolieren zu lassen, ist dem offenem Brief zufolge auch deshalb skandalös, weil die Stadt Leipzig eine lange Geschichte zivilgesellschaftlichen, überwachungskritischen Engagements vorweisen kann. Diese reiche bis in die DDR-Zeit zurück, aber auch darüber hinaus: „Schließlich wurde 1989 in Leipzig die Stasi-Zentrale gestürmt, und über viele Jahre war die Initiative Leipziger Kamera aktiv.“ Kurz: Die Ablehnung von Überwachung und Datensammlung habe in Leipzig gute Tradition.
Der Vorwurf des „Artwashing“ tritt in den vergangenen Jahren auffällig häufig auf. Etwa im Fall der Milliardärin und Kunstliebhaberin Julia Stoschek, die dafür bekannt ist, zahlreiche zeitgenössische – darunter besonders viele queere und progressive – Videokünstler:innen zu sammeln und auszustellen. In den vergangenen Jahren war Stoschek immer wieder dafür kritisiert worden, dass sie sowie ihre Familie und deren Coburger Autokonzern Brose (einer der größten Autozulieferer der Welt) das NS-Erbe ihres Familienpatriarchen, des verstorbenen Urgroßvaters Stoscheks Max Brose, beschönigen – beziehungsweise eine tiefere Auseinandersetzung mit ihm scheuen.
Der Brief „Artwashing Leipzig“ wiederum lässt, wohl nicht ganz zufällig, an eine andere, heute berüchtigte Kampagne denken, die in Laura Poitras’ Dokumentarfilm „All the Beauty and the Bloodshed“ jüngst auch verfilmt wurde. Die US-Fotografin Nan Goldin hatte sie losgetreten. Sie versuchte darin, in Teilen erfolgreich, die Sackler-Familie für die US-Opioid-Epidemie zur Verantwortung zu ziehen. Die Kampagne fand international Anklang und führte letztlich dazu, dass einige der größten Kulturinstitutionen der Welt wie das MoMA oder das Guggenheim-Museum den Namen der Sackler-Kunstspenderfamilie aus ihren Gebäuden entfernen ließen. Auch das Jüdische Museum Berlin nimmt heute kein Sackler-Geld mehr an.
Was „Artwashing Leipzig“ konkret fordert, klingt gegenüber derartigen Vorstößen vergleichsweise bescheiden. Man wünscht sich etwa aufrichtige Kritik an „entpolitisierter Geschichtsschreibung“ im Kunstkontext, wolle „ein Umdenken in Bezug auf Geldgeber:innen“ und „ethische Leitlinien“. Und: eine stärkere Förderung der freien Szene durch die Stadt Leipzig, um „toxische Sponsorenschaft“ von vornherein zu verhindern. Von Walter Smerling selbst oder der Stadt Leipzig gab es bislang keine Reaktionen auf den offenen Brief. Offiziell soll die Ausstellung noch bis Anfang Juli laufen. Vorausgesetzt natürlich, die Teilnehmenden springen nicht ab.



