Wir treffen uns im Intendanzbüro der Volksbühne, einem Raum, der nach dem Tod von René Pollesch leersteht, sogar die Haken, an denen zu Castorfs Zeiten das Stalin-Porträt hing, sind verwaist. Als aber Sophie Rois zu uns stößt, füllt sich der Raum mit Energie und beginnt zu vibrieren. Der Musikdramaturg und Regisseur des bevorstehenden Abends, Christian Filips, ist binnen Sekunden neu entflammt, nicht anders ergeht es dem Fotografen und dem Interviewer. Natürlich ist es das Thema, das uns alle so unter Strom setzt: eine Dornröschen-Erweckung, ein Blick auf einen Moment der Geschichte, der als Urknall der Moderne markiert werden könnte – und dessen Protagonist samt seinem Werk in Vergessenheit gestoßen wurde.
Die Sing-Akademie Berlin mit Riesenorchester, Chor und Solisten sowie fünf Volksbühnenschauspieler wollen das ändern. Es geht um den jüdisch-österreichischen Bankierssohn, Komponisten und Wagnerianer Adalbert Freiherr von Goldschmidt und seine „Sieben Todsünden“, ein Oratorium aus dem Jahr 1876. Ein monströses Werk, das die Musiker streiken ließ und Joseph Goebbels in Angst versetzte. Der kalte Schweiß bricht uns aus, wir zittern, während wir uns über die Wiederentdeckung in Rage sprechen, sodass einige persönliche Bekenntnisse die Autorisierung des Interviews, wohl zum Glück für alle Beteiligten, nicht überlebt haben. Vielleicht war es doch auch der Kaffee, der am Rosa-Luxemburg-Platz serviert wird.

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