Im Grunde hat Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensembles, ja recht: Die Schulen versagen in Sachen Bildung, also muss das Theater ran. Und den Leuten zum Beispiel etwas über Bertolt Brecht vermitteln: Wer war das eigentlich? Und warum? Und was ist von ihm geblieben? So könnte ein Dokudrama im öffentlich-rechtlichen Fernsehen beginnen und so tut es Reese nun als Regisseur des Abends „Fremder als der Mond“.
Der versammelt autobiografische Texte Brechts und Kompositionen von Hanns Eisler, Paul Dessau, Kurt Weill und anderen. Von der Wiege bis zur Bahre, von der Kindheit in Augsburg über Stationen im Exil bis zur Gründung des Berliner Ensembles führt der bunte Abend, den Adam Benzwi musikalisch eingerichtet hat und mit drei Musikern live begleitet. Das Bühnenbild von Hansjörg Hartung besteht aus ein paar ineinander verschachtelten, nach hinten verschlossenen Rahmen, in denen sich Nischen als zusätzliche Spielorte öffnen können. Die Kleidung von Katharine Mehrling und Paul Herwig ist proletarierhaft funktional geschneidert (Kostüme: Elina Schnizler).
„Anmut sparet nicht noch Mühe“, „Denn wie man sich bettet“, „Das Lied von der Moldau“, das Einheitsfrontlied: Die Hits und einige weniger bekannten Songs werden mit Zitaten aus Brechts Briefen, Arbeitsjournalen, Tagebüchern – „Ich wäre gerne auch weise!“ – ergänzt. Paul Herwig rezitiert meist solide bis belehrend, leider oft mit gepresster Stimme, was die Verständlichkeit mindert.
Katharine Mehrling gibt Brecht den trockenen Ton
Aber das ist nicht so wichtig, weil Katharine Mehrling alles wieder gutmacht. Sie gibt den Songs und Texten hinreißend frisches emotionales Blut und die nötige kühle, intellektuelle Stringenz. Den trockenen Ton, den sich Brecht wünschte – nicht mit seelenlos zu verwechseln – beherrscht sie grandios. Das klingt nicht mehr nach Musical, sondern – vielleicht dank Benzwi, dem höchstbegabten Vokalpädagogen weit und breit – nach Verfremdung und Verführung, nach epischem Theater und Brechts Devise: „Glotzt nicht so romantisch!“



