Musik

Barrie Kosky betreibt Brecht-Exorzismus: Katharine Mehrling singt Kurt Weill

„... und mit morgen könnt ihr mich“ an der Komischen Oper: Dank der Arrangements von Kai Tietje klingen viele der Weill-Songs, als höre man sie zum ersten Mal. 

Ja, das ist Katharine Mehrling, in einer ihrer vielen Rollen bei Koskys Weill-Abend an der Komischen Oper.
Ja, das ist Katharine Mehrling, in einer ihrer vielen Rollen bei Koskys Weill-Abend an der Komischen Oper.Barbara Braun/Komische Oper

Kurt Weill, so schreibt es Barrie Kosky in seiner gerade erschienenen musikalischen Autobiografie „Und Vorhang auf, hallo“ (Insel Verlag), ist einer der Komponisten, die ihn seit seiner Kindheit begleitet haben. Seine Musik sei ihm sofort ins Herz gegangen. Mit 13 ist er ihm zum ersten Mal in Melbourne begegnet, in einem Programm, das vornehmlich aus Songs der „Dreigroschenoper“ bestand. Er hat sich Weill also nicht über Brecht genähert, sondern über die Musik. Und so hält er es auch an diesem Abend in der Komischen Oper bei „… und mit morgen könnt ihr mich!“. Kosky betreibt Brecht-Exorzismus, könnte man sagen. So als wolle er Weill noch im Nachhinein vor diesem „furchtbaren Menschen“ retten, als den Kosky Bertolt Brecht einmal bezeichnet hat.

Im Mittelpunkt des Abends steht neben Weills Musik Katharine Mehrling, die sich als so wandelbar erweist, wie man es noch nie gesehen hat. Und das liegt nicht an den fast mit jedem Song wechselnden Kostümen, als da wären ein Herrenanzug, mehrere glänzende Abendroben, ein Mantel mit Zebramuster, eine Schulmädchenuniform, ein angeklebter Bart. Nein. Es ist ihre Stimme, die immer anders zu klingen schein, mal rein, mal betörend heiser, mal belegt, zart, rau, laut oder flüsternd. Und manchmal hört sie einfach auf zu singen. Lässt ein Wort unter den Tisch fallen, sodass der Song im Raum hängen bleibt.

21 Songs in gut eineinhalb Stunden, dazu die Kostümwechsel, das ist auch ein Kraftakt, aber Katharine Mehrling hat diese Kraft, sodass ihre Performance mühelos wirkt. Sie kann auch auf dem Rücken liegend singen und sich tanzend verausgaben. Ihren Ruf als große Kurt-Weill-Interpretin hat Katharine Mehrling mit diesem Abend zementiert. Einen genialen Spielpartner hat Kosky Mehrling mit dem Tänzer Michael Fernandez an die Seite gestellt. Es gab minutenlange stehende Ovationen, und Barrie Kosky fiel am Ende vor seiner Interpretin auf die Knie.

Kurt Weill wurde aus Berlin vertrieben

Barrie Kosky hat Weills Musik nicht nur von Brecht gelöst, sondern auch aus der Zeit. Und die Arrangements von Kai Tietje vermitteln bei fast jedem Song den Eindruck, man höre diesen zum ersten Mal. Mal klingt es nach Tango, mal nach Ragtime, Swing, Jazz, mal steht das Orientalische im Vordergrund. Es sind die Lieder aus Weills Zeit in Berlin, viele aus der „Dreigroschenoper“, herausragend etwa „Die Zuhälterballade“. Andere wie „Surabaya Jonny“ sind aus „Happy End“, dazu ein paar Gelegenheitsarbeiten wie das titelgebende „Wie lange noch?“, bei dem der Text von Walter Mehring stammt.

Für Kurt Weill war es nicht mehr lange, bis er als Jude aus Deutschland vertrieben wurde, aus Berlin, das seine künstlerische Heimat war und das er nie wiedergesehen hat, auch wenn er sich im New Yorker Exil neu erfand.

Wieder am 30. März, 6., 9. und 29. April