Wie immer tut Jürgen Kuttner, was sich im Schauspiel und erst recht im Deutschen Theater Berlin eigentlich nicht geziemt: Er erklärt den Abend. Steht da als ruppig-charmanter Ost-Berliner in seiner gemeinsam mit Tom Kühnel eingerichteten Inszenierung herum, mit Glitzeranzug und Lesebrille auf der Stirn und Moderationskarten in der Hand, kommt vom Hundertsten ins Tausendste, schlägt motivische Schneisen, taucht hechelnd in den Atem der Geschichte ein, wischt die Debatten der Gegenwart (Oschmann vs. Kowalczuk) vom Tisch. Wird das hier etwa so ein Kuttner-„Videoschnipselabend“ mit Archivmaterial aus dem Fernsehen, wie wir ihn seit Jahrzehnten aus der Volksbühne kennen? Diesmal zum Thema Thomas Brasch?
„Halt’s Maul, Kassandra!“ ist die Antwort. Und so lautet auch der Stücktitel, über den sich Kuttner im Speziellen freut. Denn für ihn ist diese in Braschs Werk immer wieder vorkommende Prophetinnenbeschimpfung der Leitspruch unserer Zeit. Wir werden mit schlechten Prognosen für die nahe Zukunft bombardiert – Rechtsruck, Wirtschaftskrise, Klimakollaps und so weiter –, erstarren in Angst und erwehren uns ihrer, indem wir der Wirklichkeit den Mund verbieten. So käme man auch am bequemsten mit Thomas Brasch und seiner auf poetische Höhen und tief hinein in den Widerspruch getriebenen System-, Menschen- und Daseinskritik klar: Halt’s Maul, Thomas! Was nichts anderes heißt als: Lass Gnade walten!

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