Jetzt ist er da, der Mann, der es richten soll. Sitzt in einem Konferenzsaal der Deutschen Oper und blickt freundlich und wach durch seine Brille. Vorsichtig ist er, und egal, was man fragt, seine Formulierungen sind unangreifbar. Aber das gehört zu seinem Job. Christian Spuck, 1969 in Marburg geboren, als Choreograf in Stuttgart groß geworden, seit elf Jahren sehr erfolgreicher Intendant des Balletts Zürich, übernimmt in der kommenden Spielzeit das Berliner Staatsballett. Eine seit der Gründung vor 19 Jahren von Krisen und Skandalen durchgeschüttelte Institution.
Nur zur Erinnerung: 2020 warf der Schwede Johannes Öhman bereits nach einer Spielzeit das Handtuch – bevor er zusammen mit der Choreografin Sasha Waltz das Dream-Tandem werden konnte, dass die beiden eigentlich hatten werden wollen. Davor scheiterte Nacho Duato, ein international renommierter Choreograf, der allerdings seine beste Zeit hinter sich hatte. Eine Fehlbesetzung, auf die man sich in Berlin so grausam stürzte, dass Duato ebenfalls vor Ende seines Vertrags die Flucht ergriff. Ach, und an die letzten Jahre davor, an Vladimir Malakhov, mit dem das Staatsballett einst hoffnungsfroh gestartet war, und an den inzwischen beigelegten Streit um Rassismusvorwürfe gegen eine Ballettmeisterin möchte man lieber auch nicht mehr denken.
Und jetzt sitzt da also Christian Spuck ganz ruhig und besonnen – und innerhalb weniger Minuten ist man mit ihm sicher, dass sich das Staatsballett schon längst in keiner Krise mehr befindet und eine gute, ja möglicherweise sogar eine richtig große Zukunft vor sich hat. Diese laufende Spielzeit liegt zwar noch in der Verantwortung der Interimsintendantin Christiane Theobald, aber die vier Premieren der Saison tragen bereits Spucks Handschrift. Zwei davon haben schon stattgefunden. Marcia Haydees „Dornröschen“-Klassiker und der moderne Abend „Ek/Ekman“. Beides sind künstlerisch wie beim Publikum große Erfolge. Jetzt stellt sich Spuck mit einer ersten eigenen Arbeit vor, im April kommt seine Verdi-Hommage „Messa da Requiem“ heraus. Deswegen ist er da, er probt mit der Compagnie. Eine Uraufführung ist „Messa da Requiem“ allerdings nicht. Auch alle anderen Premieren der Spielzeit sind das nicht, sondern sichere Erfolgsstücke.
„Ich bin ein Teamplayer“
Dieses Vorgehen ist nicht falsch. Dass er vorsichtig sei, das sagt Spuck auch von sich selbst. Und: „Ich bin ein Teamplayer.“ In der kommenden Saison will er keine großen Änderungen vornehmen. „Ich will auf dem Vorhandenen aufbauen, sehen, wo die Stärken liegen.“ Das Repertoire wird sich nach und nach ändern, Spuck fängt nicht bei null an. „Mein Vorgänger Johannes Öhmann hat hier den Grundstein gelegt“, sagt der designierte Intendant.
Vor allen Dingen mit dem meisterhaften Techno-Ballett „Half Life“ der Israelin Sharon Eyal, zu dem die Zuschauer regelrecht pilgerten, kann er einen Erfolg übernehmen. Kaum online geschaltet, waren die Abende schon ausverkauft. Seitdem ist der Bann gebrochen. Dass nur klassisch-romantische Ballette ein Haus wie die Deutsche Oper füllen könnten, wie früher so oft lamentiert wurde, das war gestern. Zumindest in Berlin. Auch „Ek/Ekman“ spielt vor ausverkauftem Haus. Beim „Messa da Requiem“ und erst recht beim Strawinsky-Abend im Juni mit Marco Goeckes „Petruschka“ und Pina Bauschs Jahrhundert-Klassiker „Sacre“ dürfte das kaum anders werden.
Festhalten an Marco Goecke
Dass Marco Goeckes „Petruschka“ im Spielplan geblieben ist, trotz des durch die Weltpresse gegangenen sogenannten Hundekot-Angriffs Goeckes auf eine Tanzkritikerin, war Spucks erste mutige Entscheidung. Er ist vorsichtig, aber nicht feige. „Ich verurteile die Tat. So etwas darf man nicht tun“, sagt er. Aber er macht auch sehr entschieden klar, dass Goecke ein Freund sei, ein großer Künstler, und dass es nach einer angemessenen Zeit auch eine Goecke-Uraufführung in Berlin geben werde. Den Teamplayer nimmt man Spuck ab. Dass er über die Goecke-Premiere nicht über den Kopf der Compagnie entschieden hat, war auf alle Fälle strategisch klug.
Anders als Goecke, der Düstere und Überempfindliche, ist Christian Spuck jemand, der sehr klar und mit sich im Reinen scheint, ohne dabei glatt zu wirken. Als Sohn eines Arztes und einer Juristin ist er in einer musischen Familie aufgewachsen und hatte eine gute Kindheit.
Fünf Jahre läuft sein Vertrag. Drei bis maximal fünf Produktionen wird er in dieser Zeit selbst in Berlin herausbringen. „Ich habe zwei verschiedene Berufe“, so beschreibt er es selbst: Choreograf und Compagnieleiter. Und, so viel wird deutlich, „nur“ zu choreografieren, wäre ihm zu wenig. Dafür ist seine Neugier auf das, was andere tun, zu groß. Über sich als Choreograf sagt er: Auf ewig sei er dem früheren Stuttgarter Direktor Reid Anderson dankbar, der ihn weiter experimentieren ließ, auch wenn er scheiterte. „Woanders wäre mir gekündigt worden, aber nur so konnte ich der werden, der ich jetzt bin.“
Dankbar ist er auch der Noch-Chefin Christiane Theobald, der ewigen Instanz beim Staatsballett, das ist ihm wichtig. „Sie unterstützt mich sehr. Sie denkt nur daran, was das Beste ist für die Institution.“ Selbstverständlich ist das nicht. Als Spuck vor elf Jahren sein Amt in Zürich antrat, erteilte ihm sein Vorgänger, der damals 72-jährige Heinz Spoerli, der nicht freiwillig ging, bis zum letzten Tag Hausverbot.



