Im neunten Jahrhundert, auf einer Insel nordöstlich des heutigen Schottlands, sieht der halbstarke Prinz Amleth fast hilflos mit an, wie sein Onkel Fjölnir erst seinen Vater, Wikingerkönig Aurvandil (Ethan Hawke), niedermetzelt und dann seine Mutter, Königin Gudrún (Nicole Kidman), gefangennimmt. Amleth kann fliehen, mit einem Ruderboot schafft er es bis zum europäischen Festland.
Robert Eggers erzählt in „The Northman“ die Legende von Amletus, die Mitte des 12. Jahrhunderts vom dänischen Geistlichen Saxo Grammaticus aufgeschrieben wurde – Shakespeare kürzte die Vorlage später zu seinem weltberühmten Hamlet zusammen.
Nach dem tragischen Prolog trifft das Publikum den erwachsenen und mittlerweile schwer mit Muskeln bepackten Normannen Amleth (Alexander Skarsgård) auf der Kiewer Rus wieder. Immer noch rudernd, immer noch hasserfüllt: „Ich werde dich rächen, Vater! Ich werde dich retten, Mutter! Ich werde dich töten, Fjölnir!“ Zwanzig Jahre rudert er da schon seinem Rachetraum hinterher, bisher erfolglos. Er hat sich einer Wikinger-Gruppe im tiefen Osten Europas angeschlossen, raubt und brandschatzt sich durch slawische Dörfer, sieht emotionslos zu, wie seine kämpfenden Nordmänner die gefangengenommene Dorfbevölkerung in verschlossenen Hütten abfackelt – nicht unähnlich seinem so verhassten Onkel in der Heimat.
Einzige Lebensaufgabe für Amleth: Rache
Trotz aller mitunter schwer erträglichen Brutalität überzeugt „The Northman“ vor allem in diesen Kampfszenen, fast tanzend bewegen sich die Schauspieler durch hervorragend choreografierte Schlachten. Die Vorhersehbarkeit der restlichen Handlung, das Fehlen emotionaler Tiefe, die zuweilen lächerlich wirkende Esoterik der hier gezeigten nordischen Mythologie – all das lässt Robert Eggers das Publikum mit diesen langen Plansequenzen fast vergessen.
Ausgerechnet hier im Osten trifft Amleth auf eine blinde Seherin (Björk), die ihm eine wichtige Prophezeiung überbringt, dem Publikum damit aber leider auch den Rest des Films verrät. Der Wikingerprinz besinnt sich mit dieser Hilfe also wieder auf seine ihm selbst aufgetragene Lebensaufgabe – Rache! – und fährt als Sklave verkleidet in Richtung Island, um dort endlich seinen Onkel Fjölnir zu ermorden. Dabei trifft er auf die slawische Magierin Olga (Anya Taylor-Joy). Aus Freundschaft wird Liebe, und gemeinsam beginnen sie den Rachezug.
Filmmutter Nicole Kidman: nur neun Jahre älter als Sohn Skarsgård
Bis auf die Kampfszenen ist „The Northman“ furchtbar zäh erzählt, einige Dialoge wirken unfreiwillig komisch, der aufgesetzte skandinavische Akzent mitunter fast lächerlich. Zum Beispiel wenn Amleth, der wütende Prinz, seinem Schwert zuflüstert, dass „wir beide“ nur nachts töten. Wochenlang lebt er fortan im Dunstkreis seines verhassten Onkels auf Island und stellt die Geduld des Publikums und die von Olga auf die Probe, die ebenfalls Vergeltung im Sinn hat.
Die verknallt sich trotzdem in ihn. Unglaublich wirkt das nicht nur, weil das Publikum eher freundschaftliche Blicke anstatt Funken zwischen beiden wahrnimmt, sondern auch, weil der Schwede Skarsgård sichtbar zwei Jahrzehnte älter ist als Taylor-Joy. Seine Film-Mutti, gespielt von Nicole Kidman, altert trotz Zeitsprungs und harten isländischen Wetters kaum merklich. Am Ende wirkt eine tabulose Annäherung Gudrúns kaum inzestuös, das Liebespaar nimmt man Kidman und Skarsgård vielleicht auch wegen der nur neun Jahre Altersunterschied deutlich eher ab.
Prinz Amleth bleibt ein einfältiger Typ
Trotz hochkarätigen Castings und beeindruckender Bildgewalt – gedreht wurde in Irland und Island – wabert „The Northman“ wie ein mystischer Fiebertraum, kann selten wirklich überzeugen. Einige Szenen wirken abstrus: Der junge Prinz wird in einem Aufnahmeritual mit Odin zu einem „echten Mann“ gemacht, muss dafür aber wie ein Wolf auf allen Vieren laufen, aus einem Napf fressen, später bellen und jaulen. Überhaupt muten die göttlichen Erscheinungen – das Aufnahmeritual, aber auch Amleths wiederkehrender Traum von Walhall – wie ein schwulstiger LSD-Trip an. Nicht selten sind Amleths Götterträume völlig losgelöst von der aktuellen Handlung, anfangs fällt es schwer, dem Wallhall’schen Delirium zu folgen.
Allein wegen der Naturaufnahmen aus Skandinavien und den furiosen Kampfszenen ist „The Northman“ trotzdem ein kleines Erlebnis.
Wertung: 2 von 5 Punkten


