Künstlerin der Woche

Rosa Barba: Eine überfällige Debatte um die Neue Nationalgalerie

Die Künstlerin Rosa Barba legt die Architektur des Hauses frei und wagt kritische Blicke auf seine Geschichte, die die Neue Nationalgalerie selbst ausspart.

Die Film- und Skulpturenkünstlerin Rosa Barba vor der jüngst wiedereröffneten Neuen Nationalgalerie.
Die Film- und Skulpturenkünstlerin Rosa Barba vor der jüngst wiedereröffneten Neuen Nationalgalerie.Foto: Hanno Hauenstein

Berlin-In Rosa Barbas Kunst werden Dinge zum Sprechen gebracht: Flächen, Texturen, Filmschnipsel, Apparate. Bilder einer Wüstenlandschaft vor dem blau saturierten Abendhimmel im Westen der USA. Aufgetürmte Filmrollen im Inneren einer Bibliothek, ein Archiv für Wissensproduktion. Und natürlich das flirrende Surren, Schlingern und Rattern der antiquierten Laufbildprojektoren, die Barbas 16- oder 35-mm-Bilder an die Wand werfen. Bilder, die eine Zeit vor der digitalen Dauerabrufbarkeit beschwören, und dabei von wie verkörperlicht tänzelnden Filmspuren beschattet werden.

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Barbas Arbeiten – oft Symbiosen von Film und dessen künstlerischer Anordnung im Raum, die sie selbst als „kinetische Skulpturen“ bezeichnet – wirken zugleich nostalgisch und futuristisch. Ihre Filme ragen, biegen, brechen in den Raum hinein, interagieren mit ihm. Mit seiner Architektur, seinem Sound, mit der skurrilen Anmut der Apparate, die diese Bilder an die Wand werfen – sowie mit dem Schatten der Menschen dazwischen. Eine auf einem 16mm-Projektor aufsitzende Schreibmaschine tippt da etwa einen Text, den die Künstlerin zuvor verfasst hat. Unter den Tasten wird ein Impuls vermittelt, der vereinzelte Buchstaben auf Filmzelluloid überträgt, das diese daraufhin auf der Leinwand sichtbar macht: Impuls wird Bewegung wird Text wird Bild. Ein schönes Beispiel für die kleinteilig-idiosynkratische Genialität in diesen Arbeiten.

„Architektur ist gefrorene Musik“, lautet ein Satz, den Barba im jüngsten Film „Plastic Limits“ wie als lexikalische Fußnote einblendet. Den Film hat sie eigens für „In a Perpetual Now“ gedreht, ihre Ausstellung in der wiedereröffneten Neuen Nationalgalerie. Bei dem Satz handelt es sich um ein Goethe-Zitat, in dem sich eine Gleichzeitigkeit verschiedener Ordnungen andeutet. Eine Gleichzeitigkeit, die Goethe inspirierte, aber offenbar auch Barbas Kunst antreibt: der nach innen wie nach außen strebende Drive der Kunst, das Ineinandergreifen und Relativwerden der Genres, das Nebeneinander von Zeitformen: antizipierte Zukunft, verklärte Vergangenheit, von den Gesetzen der Physik entkoppelte Gegenwart. Es gehe ihr, sagt Barba, auch im Sinne von Mies van der Rohe darum, über die Limitierungen der Architektur hinauszugehen, sie aufzudehnen, aufzubrechen.

Die Architektur des Hauses in Grundbestandteile zerlegt

Entsprechend beruht die Aufmachung der Ausstellung auf Mies van der Rohes Grundriss der Neuen Nationalgalerie. Es lohnt sich, dies für einen Moment aus dem historischen Kontext heraus zu betrachten: In den Jahrzehnten vor dem Mauerfall versuchten Architektinnen und Designer im Osten wie im Westen Berlins, sich mit geradezu erwartbarer Regelmäßigkeit gegenseitig zu übertreffen. Da waren etwa Hermann Henselmann und Erich John auf der Ost- sowie Hans Scharoun und Mies van der Rohe auf der West-Seite. Für die Eröffnungsausstellung analysierte Barba den Mies-van-der-Rohe-Bau im Zustand seiner kostspieligen Sanierung durch David Chipperfield. 

„Dieses Analysieren der Architektur des Orts in dem ich ausstelle, fragmentiere ich“, beschreibt Barba ihre Herangehensweise, „oder übersetze es in eine andere Form“. Ein Konzept, das hier aufgeht: Ihre Objekte – Projektoren, Skulpturen, Leinwände – hat sie zwischen quadratischen Stahlrahmenkonstruktionen installiert, die wirken, als hätte man die Elemente der charakteristischen Architektur des Hauses in seine Grundbestandteile zerlegt und mikadoartig, teils schwebend neu arrangiert.

Das korrespondiert auf intelligente Art mit dem Architekturentwurf der Neuen Nationalgalerie, wirkt in seiner Anlehnung allerdings nicht aufdringlich oder gewollt. Tatsächlich, erklärt Barba, sei diese Art „Bühne“ selbst einem Backsteingebäude von Mies van der Rohe nachempfunden, das in Neu-Babelsberg gebaut werden sollte, aber nie realisiert wurde. Auf den Entwurf stieß sie während ihrer Recherche im Bauhaus-Archiv. Die Künstlerin faszinieren die Blueprints und die entschleunigten Methoden der Kunstproduktion, die – ähnlich dem Tippen der Schreibmaschine auf Zelluloid – eben das Prozessuale und Fragmentarische in den Vordergrund rücken, nicht das abgeschlossene Werk.

In ihrem Film „Plastic Now“ erhascht man zwischen den traumartigen, Lynch‘esken oder Wojnarowicz‘esken Aufnahmen hier und da auch Blicke auf Wolkenspiegelungen im Glas der Außenfassade der Neuen Nationalgalerie oder auf den darin reflektierten Spitzturm der St.-Matthäus-Kriche. Sowie auf den freigelegten Beton unter den massiven Granitplatten im Inneren des Gebäudes. Die Begleitmusik, unter anderem von der Berliner Musikerin Peaches, wirkt dabei suchend, wellenartig wabernd, teils auch abgehakt rhythmisch, jedenfalls alles andere als „gefroren“, wie das Goethe-Zitat andeuten mag.

Für einige der Nachtaufnahmen in dem Film füllte Barba die große Halle der Neuen Nationalgalerie spektakulär mit künstlichem Nebel. Der Nebel lässt in der Betrachtung an romantizistisch-deutsche Verzückung à la Caspar David Friedrich denken. Aber auch an die sprichwörtliche Verneblung ungeliebter Tatsachen. Im Licht der Auseinandersetzung um die jüngst bekannt gewordenen Nazi-Verstrickungen des früheren, ersten Direktors der Neuen Nationalgalerie Werner Haftmann wirk dies keineswegs wie eine allzu weit hergeholte Assoziation.

Haftmann, das belegten zuletzt Historiker:innen, war nicht nur ein im NS-System implizierter Mitläufer, sondern selbst SA-Mitglied und an Erschießungen italienischer Partisanen beteiligt. Seine antidemokratischen Affekte beschränkten sich jeodch nicht auf die NS-Zeit, sondern strahlten weit in die bundesrepublikanische Kulturpolitik hinein, wie etwa in seiner Antihaltung gegenüber Happenings in der Neuen Nationalgalerie klar wurde oder in seiner Rehabilitierung des Malers Ernst Nolde.

Dass die Neue Nationalgalerie in ihrer neueröffneten Form Haftmanns Verstrickung jetzt in einer obligatorisch wirkenden Hinweistafel lediglich anschneidet, zugleich auf seine  Verdienste verweist und eine ernsthafte Aufarbeitung somit ausspart, zeigt auch, dass das „neue“ Nationalverständnis, welches das Haus qua Titel ja repräsentieren möchte, letztlich ein altes, verkrustetes ist. Die deutsch-italienische Künstlerin Rosa Barba leistet hier überfällige Diskurs-Arbeit, die man 2021 nicht mehr nur in künstlerischer Andeutung erwarten würde, sondern in Form expliziter Auseinandersetzung.

Rosa Barba. „In a Perpetual Now“, in der Neuen Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, geöffnet ab 22. August.

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.