Ein blonder Vokuhila und eine verspiegelte Skibrille: Sieht so Deutschrap 2023 aus? Anlass zu dieser Annahme – bei einigen wohl eher Befürchtung – gibt ein Blick an die Spitze der deutschen Single-Charts. Dort residiert nämlich seit neustem der Wilmersdorfer Rapper Ski Aggu, der genau diese beiden Accessoires zu seinen stilistischen Markenzeichen erkoren hat. Für seinen ersten Nummer-eins-Hit (der in Anbetracht des schon seit Monaten anschwellenden Hypes um den drogen- und partyverliebten Draufgänger nur folgerichtig ist) hat sich Ski Aggu mit dem niederländischen Musiker und YouTuber Joost zusammengetan – und mit dem Komiker Otto Waalkes.
Bei Ski Aggus Chart-Erfolg handelt sich um ein Remake des Otto-Songs „Friesenjung“ von 1993, der wiederum auf dem Sting-Hit „Englishman in New York“ von 1987 basiert. Thematisch setzt der Remix aber andere Akzente als seine Vorgänger. Wie in eigentlich jedem Ski-Aggu-Song geht es um Partydrogen, hedonistischen Spaß und das leichte Leben. Im Verbund mit den eingängigen Melodien und Hooks läuten da bei manchem HipHop-Gelehrten schon mal die Alarmglocken: „Schlager-Rapper!“ heißt es dann schnell abwertend.
Der alarmierende Verdacht: August Jean Diederich, wie Ski Aggu bürgerlich heißt, habe HipHop gar nicht verstanden. In der Wochenzeitung Die Zeit wird der fehlende subversive Anspruch dieser „postironischen Mash-up-Musik“ und ihr privilegierter, die harte Realität stumpf ausblendender Habitus kritisiert. Aber trifft das so zu? Oder liefert Ski Aggu nicht doch einen stark vom Rap inspirierten, progressiven Berliner Gegenentwurf zum typischen Ballermannschlager? Ließe sich Ski Aggu nicht auch so lesen: als einer, der breitenwirksam für Toleranz, Respekt und ein solidarisches Miteinander einsteht und nebenbei in unserer immer noch vom protestantischen Arbeitsethos geprägten Gesellschaft ein subversives Potenzial entfaltet?
Dass es sich bei der Musik von Ski Aggu um einen teils etwas gefälligen Genre-Mix handelt, ist klar. Vom Techno nimmt der Soundmischer den Vibe, vom Rap die Sprache und vom Schlager die musikalische Zugänglichkeit. Was die Kritik aber meist übersieht: Dieser Mix ist keineswegs die stumpfe Kopie von Bisherigem, sondern im Gegenteil ziemlich originell. Zudem zeugen die zahlreichen geschickt ausgewählten Samples und stimmigen Kompositionen von einer großen Affinität zur Popmusik der letzten Jahrzehnte sowie von einer hohen musikalischen Kreativität. Das Ergebnis ist ein genreoffener, moderner Berlin-Sound, wenn auch mit einer gehörigen Portion Vintage.
Und auch wenn Ski Aggu ohne Breakdance und Graffiti, Jams und Baggy-Pants aufgewachsen ist, steckt in seiner Musik doch mehr HipHop, als viele auf den ersten Blick vermuten würden. Neben den zahlreichen Samples sind es vor allem die Wortspiele, Wie-Vergleiche und Lautmalereien, die eine Rap-Handschrift tragen. So auch in dem aktuellen Nummer-eins-Hit: „Ich bin Berliner Kindl, bin kein Friesenjunge (ey) / Sie sagt: ‚Aggu, du hast eine geile Frise, Junge‘ (wouh)“, rappt Ski Aggu zum Einstieg in seinen Part.
Wäre Ski Aggu auch ballermanntauglich?
Wobei eine gewisse Nähe zum Schlager natürlich nicht zu leugnen ist. Die Tanzbarkeit – auch mit ein paar Promille – steht bei Ski Aggu eindeutig im Vordergrund. Dennoch sind seine Songs vielseitiger, musikalisch gewiefter und stärker von der HipHop-Kultur beeinflusst, als es die Pauschalisierung als „Schlager-Rapper“ suggeriert. Aber sollten es die Hits von Ski Aggu doch auf den Ballermann schaffen – wäre das nicht sogar zu begrüßen?
Denn anstelle der oftmals sexistischen, moralisch fragwürdigen Malle-Schlager (wir denken an einen anderen Nummer-eins-Hit, „Layla“, zurück) würden dann Songs laufen, deren Texte ziemlich progressiv sind. Anstatt Machosprüche zu droppen oder Frauen zu objektifizieren, macht sich Ski Aggu nämlich zum Beispiel über tradierte Männlichkeitsbilder lustig: In dem Musikvideo zu „Tour de Berlin“, in dem der Fahrradfahrertrikotliebhaber mit dem Bike durch Berlin düst, posiert er mit einem Schild mit der Aufschrift „Echte Männer fahren Fahrrad“.
Und in dem Video zu „Friesenjung“ knutscht er – ganz kumpelhaft – seinen niederländischen Kollegen Joost ab. Auch in Aggus Texten ist nichts von toxischer Männlichkeit zu spüren, stattdessen chillt er mit seinen „Brüdern und Schwestern“ und reflektiert seine Privilegien als weißer heterosexueller Cis-Mann. Die Songs von Ski Aggu können daher als progressiver Berliner Gegenentwurf zu den zumeist reaktionären, sexistischen und stereotypischen Dorfschlagern gelten.
Ein Gegenentwurf, der subversiver ist, als er auf den ersten Blick wirkt. Im Mittelpunkt seiner Musik steht bei Ski Aggu die Gemeinschaft. Es ist das solidarische Miteinander seines Freundes- und Bekanntenkreises, das Ski Aggu in seiner Musik beschreibt: Bildungsabschlüsse und Finanzen sind egal, Essen und Getränke werden geteilt, und „dass die Crew den Kaufpreis aufteilt, ist safe“. Um Konsum geht es nur, wenn von Drogen die Rede ist; Luxusartikel, mit denen andere Rapper gerne mal protzen, scheinen Ski Aggu weniger zu interessieren: „Bubatz in der einen Hand / Mein Outfit, das ist zweite Hand“ heißt es auf dem Track „Besoffen in den Spiegel schauen“. Anstatt sich den blinden Konsumfetisch unserer Marktwirtschaft zu eigen zu machen, erträumt sich Ski Aggu eine utopische Welt, in der sich das Subjekt dem gesellschaftlichen Leistungsdruck und Arbeitsethos verweigern kann und dafür ein Recht auf Faulheit und hedonistischen Spaß besitzt.
Dass wir gesellschaftlich weit von der Verwirklichung einer solchen Utopie entfernt sind, dürfte Ski Aggu bewusst sein. Thematisieren tut er es hingegen nicht. Daher bleibt der von ihm propagierte Lebensentwurf letztlich ein eskapistischer, den sich nur die wenigsten dauerhaft leisten können. Dennoch schimmert die Möglichkeit eines guten Lebens in seiner Musik immer wieder durch – und gibt so Anlass, über das Bestehende hinauszudenken. Nicht schlecht in Zeiten, in denen der Arbeitgeberchef mehr „Bock auf Arbeit“ einfordert, der Bundespräsident ein verpflichtendes Dienstjahr für junge Menschen fordert und Berufspolitiker sich über work life balance echauffieren. Die hedonistische Verweigerung ist hier gelebte Subversion.


