Das Lob des Frankfurter Opernintendanten Bernd Loebe für den Dirigenten Thomas Guggeis ist grenzenlos: „Von einem singulären Talent zu sprechen, ist untertrieben.“ In Loebes Haus arbeitet Guggeis ab der nächsten Saison als Generalmusikdirektor. Guggeis war Assistent von Daniel Barenboim und hat an der Staatsoper so manche Vorstellung gerettet – von der ursprünglich Christoph von Dohnányi anvertrauten „Salome“ bis zum neuen „Ring“, den der erkrankte Barenboim nicht dirigieren konnte.
Am Montag in der Philharmonie spielte die Staatskapelle Berlin unter seiner Leitung ein ambitioniertes Programm. György Ligetis „Lontano“, von den Berliner Philharmonikern unter Daniel Harding vor einigen Monaten eher lieblos durchgewunken, entfaltete hier seine ganze Originalität. Guggeis nahm ein eher langsames Tempo, das die spezifische Leere dieses Stücks, sein Vorbereiten und Abschwellen ohne eine greifbare Mitte zur Geltung brachte. Diese Leere hängt eng mit der Klanggestaltung zusammen, dem Spektrum zwischen körperlosen Flöten-, Klarinetten- und Streicherfäden und materiellen Klängen des gedämpften Blechs oder Streichertremoli – so detailliert ausgearbeitet wie hier hat man das selten gehört.
Einfach nur pittoresk oder mit philosophischer Tiefsinnvermeidung?
Richard Strauss’ „Alpensymphonie“ steht zu Ligetis Musik in geistreicher Kontrastbeziehung – nicht nur wegen der Cluster an Beginn und Ende, wegen der hochgetriebenen Kontrapunktik, die in klangliche Totalen umschlägt, und der noch weiter ausgefahrenen Spanne von fahlen bis zu saftigen Klängen. Strauss’ Musik hat anders als Ligetis durchaus eine Mitte, sie scheint von Auf-, Abstieg und einem Gipfelerlebnis zu handeln. Zugleich ist ungewiss, welche symbolische Bedeutung man dem beilegen soll: Ist das nur pittoresk oder zugleich eine Vermeidung von Tiefsinn und Idealismus mit philosophischer Ambition, die den im „Zarathustra“ noch explizit beschworenen Friedrich Nietzsche ganz in sich aufgenommen hat?
Guggeis und die Staatskapelle verleihen der „Alpensymphonie“ die schönste orchestrale Pracht und zugleich Durchsichtigkeit, die man sich wünschen kann. Guggeis dirigiert dabei als Anti-Pathetiker, der Phrasen ohne aufgedonnerte Abschlüsse zu Ende bringt und auch gewissen melodischen Einsätzen ihren Platz zuweist, statt ihnen einen großen Auftritt zu verschaffen. Das schafft eine spürbare Spannung zwischen Werk und Interpretation.


