Mitski: „The Land Is Inhospitable and So Are We“ (Dead Oceans/Cargo)
Diese Frau hat wohl so ziemlich die unwahrscheinlichste Pop-Karriere der letzten Jahre gewoben! Mitski, 2o16 mit ihrer damals schon vierten Platte „Puberty 2“ eindeutig noch dem gehobenen Schrammel-Indie-Genre auf billigen Gitarrenakkorden zuzurechnen, hat 2018 auf „Be The Cowboy“ ihre Klangpalette unter anderem um funkelnde Synthesizer bereichert, um dann 2022 mit „Laurel Hell“ sogleich das Ende all ihrer Musik zu verkünden. Zum Glück ist Mitski wankelmütig (wie die betrunkene Frau im Video zur Vorab-Single).
Vielleicht auch, weil sie mit „The Only Heartbreaker“ einen richtigen, sogar von Obama gefeierten Hit hatte. Oder weil ihre Songs derweil zum TikTok-Wunder-Soundtrack mutierten. Auf jeden Fall ist Mitskis neue Platte „The Land Is Inhospitable and So Are We“ (zu Deutsch: „Das Land ist ungastlich und wir sind es auch“) ein wunderbar poetisch verdichtetes Country-Folk-Album, das sich nicht scheut, auch Hundekacke beim Namen zu nennen. Mitski konzentriert sich auf die ihren bei aller Zurückhaltung doch so eindringlichen Gesang begleitende akustische Gitarre, hat aber zudem ein schönes Saloon-Orchester im Rücken, das besser wärmt als Whiskey. Glamouröse Tristesse, von der sich selbst Lana Del Rey noch was ablauschen könnte.
Diddy: „The Love Album: Off The Grid“ (Love Records)
Spontan gar nicht so leicht zu sagen, welche Zahl höher ist: die von Puff Daddys, äh, P. Diddys, äh, Diddys Ex-Künstlernamen oder doch die der Künstlergästeliste auf dem neuen Album, seinem ersten seit mehr als zehn Jahren. Es sind nahezu drei Dutzend Gäste mit drauf; um mal nur ein paar der prominentesten zu nennen: The Weeknd. Busty Rhymes. Mary J. Blige. Justin Bieber. Swae Lee (von Rae Sremmurds). Burna Boy. John Legend. Es geht noch ewig weiter!
Kündet solch eine Party auf der Platte eigentlich mehr von Größenwahn oder doch eher von künstlerischen Selbstzweifeln? Stimmlich ist Diddy (als einer der einflussreichsten Rapper aller Zeiten) überraschend wenig präsent. Er scheint das Mikro lieber weiterzureichen an seine Promi-Crew. Aber es dürfte dennoch seiner Produktion zu verdanken sein, dass das „Love Album“ so warmherzig klingt, nicht bloß R&B und HipHop fusionierend (gerührt, nicht geschüttelt!), sondern auch mit Vintage-Soul auffahrend. Tolles melancholisches Mixtape, wie gemacht für die bittersüße Spätsommersonne.
Anjimile: „The King“ (4AD/Beggars)
Dass es solche Platten noch gibt! Anjimile, Jahrgang 1993, singt mit der Feinfühligkeit von Sufjan Stevens, den Avantgarde-Ambitionen eines Perfume Genius und mitunter auch mit Tracy-Chapman-Wucht. Inmitten von viel betäubendem Einheitsbrei, der zurzeit so erscheint, ist dieses Album ein Kronjuwel, passend zum königlichen Titel „The King“.
