Interview

Moderat: „Unsere Tracks sollen einem das Gefühl geben, im Wald zu stehen“

Sie haben Berliner Elektro-Geschichte geschrieben, nun feiert die Band Moderat ihr 20-Jähriges. Ein Gespräch über Ängste und die transformative Kraft der Musik.

Das Elektro-Trio Moderat: Sascha Ring, Sebastian Szary und Gernot Bronsert.
Das Elektro-Trio Moderat: Sascha Ring, Sebastian Szary und Gernot Bronsert.Birgit Kaulfuss

„Wir teilen die Interviews mittlerweile meistens auf, jeder von uns kann für die Band sprechen“, erklärt Sebastian Szary, ein Drittel von Moderat. Die anderen zwei Drittel sind Gernot Bronsert, mit dem zusammen Szary auch das DJ-Duo Modeselektor bildet, sowie Sascha Ring, der unter dem Namen Apparat auch als Solokünstler tätig ist. Vor zwanzig Jahren haben die drei sich als Moderat zusammengetan und die elektronische Musik in ungeahnte Sphären geleitet. Das Trio agierte schon immer über den Plattentellerrand hinaus und sorgte mit seiner Soundästhetik aus wuchtigen Bässen, poppigen Synthesizern und melodischem Gesang dafür, dass ihr Sound nicht nur in die Clubs, sondern auch in die Charts kam – und legte damit den Grundstein für ähnlich geartete Karrieren, wie die der Kalkbrenner-Brüder.

Berliner Zeitung: Sie feiern in diesem Jahr 20-jähriges Bandjubiläum…

Sebastian Szary: Ach, das ist uns gar nicht bewusst gewesen. Gefeiert haben wir das also noch nicht. Obwohl: Das tun wir jetzt mit dem neuen Album. (lacht)

Bedeutet Ihnen dieser Umstand etwas?

Eigentlich nicht. Außer: Krass, ist das lange her. Getroffen haben Gernot und ich Sascha aber bereits 2001 im WMF, bei einem kleinen Club-Festival namens Ocean Club Radio. Da sind wir ins Sprechen gekommen, weil Sascha ein neuartiges Software-Tool hatte, mit dem er Live-Loops umsetzen konnte. Und als wir so sprachen, haben wir festgestellt, dass wir alle nur drei Straßen entfernt voneinander wohnen. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.

Kurz nach der Bandgründung und der gemeinsamen EP „Auf Kosten der Gesundheit“ im Jahr 2003 haben Sie sich aber wieder getrennt. Warum?

Moderat war anfangs nur ein Spaßprojekt. Wir haben uns getroffen, ein bisschen über den Tellerrand geschaut und sind dann wieder auseinandergegangen. Für Sascha war es damals das erste Mal, dass er einen konkreten Austausch mit anderen Musikern hatte, und entsprechend ungewohnt. Gernot und ich kennen uns wiederum seit der dritten Klasse und haben Mitte der Neunziger angefangen, gemeinsam  aufzulegen.

Was verstehen Sie unter „Spaßprojekt“?

Vieles hat ja auf der Bühne angefangen. Mit der Möglichkeit, mehrere Laptops mit Controller zusammenzuschließen und einfach zu jammen: Irgendwelche Drumloops zu spielen und durch Verzerrer und Delays zu schicken. Aus Spaß. Leider findet man nur selten Aufnahmen aus der Zeit. Aber wenn, dann fragt man sich manchmal auch, was man da eigentlich gemacht hat. Im Club und im Kontext der Zeit war das aber toll: Diese Sound-Wände mit einer Overdose an Beats und Bässen – total geil!

Bis es zum ersten Moderat-Album kam, hat es noch eine ganze Weile gedauert – das erschien erst 2009. Haben Sie sich in der Zwischenzeit gar nicht gesehen?

Doch, oft sogar, weil wir an der Idee für eine Live-Software weitergearbeitet haben. Sascha hat in der Zeit viele Apparat-Platten rausgebracht, wir haben unsere ersten beiden Modeselektor-Alben veröffentlicht, Remixe gemacht – unsere Blüten sind allesamt richtig aufgegangen.

Wie kam es dann zum ersten Moderat-Album?

Wir waren mit Modeselektor damals beim Label BPitch Control, deren Chefin Ellen Allien ist. Und die meinte zu uns: „Jungs, wie wäre es denn mal mit einem Moderat-Album?“ Wir fanden die Idee gut und haben 2008 dann angefangen, eine Vision zu entwickeln.

Wie sah diese Vision konkret aus?

Den größten Wert hat für uns immer der Sound gehabt: Wie klingt’s? Wie tief geht es rein? Wir wollten nie nur plumpe Basslines haben, die sollten einen schon umhüllen. Tiefe war und ist uns extrem wichtig: Unsere Tracks sollen einem das Gefühl geben, im Wald zu stehen oder unter Wasser. Oder so, wie man es sich vorstellt, wenn man im Weltall schweben würde – wobei es im luftleeren Raum ja keinen Nachhall gibt. Aber wie in alten Science-Fiction-Filmen eben.

Warum hat Tiefe eine so große Bedeutung für Sie?

Weil wir drei ebenfalls eine gewisse Tiefe in uns tragen, eine gewisse Melancholie. Manche Leute empfinden unsere Sachen daher wohl auch als zu traurig. Wir versuchen auf jeden Fall, an der richtigen Stelle bei den Leuten Emotionen auszulösen – sowohl musikalisch als auch textlich. Das spielt für uns eine große Rolle.

Warum?

Schon beim ersten Album kam uns die Vision eines imaginären Soundtracks – und dieser Ansatz des Cineastischen ist geblieben. Wir versuchen immer, einen Soundtrack zu schreiben für einen Film, den wir noch nicht haben.

Wie muss man sich diesen Film vorstellen?

Der Film sind wir, der läuft bei uns im Kopf ab. Der klingt aber von Album zu Album anders.

Wenn Sie sich einen Regisseur aussuchen könnten, der zu Ihrem neuen Album einen Film macht, wer wäre das?

Ich glaube, den müssten wir selber drehen. Aber alle Menschen sind herzlich dazu eingeladen, sich als Regisseur zu einen Film mit unserem Album als Soundtrack zu versuchen. Wir wären sehr gespannt, was dabei herauskäme. Insofern: Nur her damit!

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Birgit Kaulfuss
Moderat
…wurde zwar in Berlin gegründet, die drei Musiker stammen jedoch allesamt nicht aus der Hauptstadt. Sascha Ring wuchs in Quedlinburg auf, Gernot Bronsert in Woltersdorf und Sebastian Szary in Rüdersdorf bei Berlin.

…hat immer auch eine Vocal-Komponente, die Sascha Ring verantwortet. Für die Texte zum aktuellen Album hat Ring sich insbesondere von der Berliner Gemäldegalerie inspirieren lassen. Die hat der 43-Jährige häufig mit seiner kleinen Tochter besucht.

…haben eines ihrer schönsten Konzerte in der größten Festungsanlage Europas gespielt: in der Festung Fenestrelle bei Piemont. Diese Festung ist nach der chinesischen Mauer das zweitgrößte Bauwerk der Welt.

20 Jahre Moderat: Welches waren die denkwürdigsten Momente in dieser Zeit?

Der denkwürdigste Moment war wahrscheinlich 2013, als Sascha mit seiner Frau einen Motorradunfall hatte. Die beiden sind auf ein parkendes Postauto aufgefahren. Dabei haben sich beide ein Bein zerquetscht und lagen auf einmal im Krankenhaus.

War das vor oder nach dem Release Ihres zweiten Albums „II“?

Danach. Die dazugehörige Tour hatte gerade angefangen. Gernot und ich haben die dann notgedrungen als Modeselektor zu Ende gespielt, das ging auch irgendwie. Aber da haben wir gemerkt, wie fragil das Ganze doch eigentlich ist.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Man muss das so hinnehmen. Etwas anderes bleibt einem ja nicht übrig. Allzu sehr darüber nachdenken darf man aber nicht, sonst traut man sich irgendwann gar nicht mehr aus dem Haus. In Folge dieses Unfalls haben wir von unserem Management aber das Verbot ausgesprochen bekommen, vor Tourstart auf hohe Leitern zu steigen oder andere potenziell gefährliche Dinge zu machen. Sascha ist seither, soweit ich weiß, auch nicht mehr Motorrad gefahren.

Hatte dieser Schockmoment in kreativer Hinsicht einen Einfluss auf Sie?

Nicht direkt. Aber man ist sicherlich ein wenig umsichtiger geworden – zumindest anfangs. Ich erinnere mich auch noch an eine Situation, als ich zusammen mit Gernot mal eine alte Eiche mit einer Kettensäge gefällt habe – das war allerdings kurz vor Saschas Unfall. Da meinte Sascha zu mir: „Ey, Szary, pass mit der Kettensäge uff: Deine Hände sind auch meine Hände!“ Kurz darauf hatte er dann seinen Unfall. Aber ich will jetzt gar nicht alles so runterziehen. Ansonsten war nämlich alles nur geil! (lacht)

Im Zuge der Albumveröffentlichung stehen auch wieder ein paar Shows an. Gibt es etwas, das Sie am Touren nervt?

Ach, nichts Großes. Aber es gibt ja diese Angewohnheit, das bei gewissen Songs alle Telefone oben sind und die Zuschauer filmen ­– was auch vollkommen okay ist. Aber einige Leute haben dabei das LED-Licht am Handy an, was absolut keinen Sinn macht. Und: Es blendet uns unangenehm auf der Bühne. Ich kann mich daran erinnern, dass Sascha bei einem Gig in Italien deswegen mal das Set gestoppt und gesagt hat: „Ey, Jungs und Mädels, jetzt macht doch mal die Dinger aus!“

Für die Arbeit an „MORE D4TA“ hätten Sie den Reset-Button gedrückt, ließ ihre Plattenfirma verlauten. Sie haben also eine Art Neuanfang gewagt. Wie sah der konkret aus?

Der Druck auf den Reset-Knopf war nach der Tour 2017 extrem nötig. Die Tour war toll, besonders der letzte Teil mit dem großen Finale in der Berliner Waldbühne vor 17.000 Leuten. Aber wir haben gemerkt, dass wir als Moderat mal wieder auseinandergehen müssen. Wir sind uns zwar nicht auf den Sack gegangen, aber mussten alle mal Luft holen. Unabhängig voneinander.

Wie haben Sie diese Zeit dann genutzt?

Wir haben ja den Luxus, verschiedene Projekte zu haben und uns darin anders ausleben zu können; eine Art künstlerischen Identitätswechsel vorzunehmen. Das ist ganz wichtig. 2019, nach dem „Who Else“-Album von Gernot und mir, hatten wir dann dasselbe Gefühl bezüglich Modeselektor – bis dann aufgrund von Corona alles ganz anders kam. 2019 dachten wir ja noch, wir hätten den sichersten Job der Welt. Wir haben dann mit „Extended“ angefangen, wollten eigentlich nur drei Monate ins Studio, daraus ist dann ein ganzes Jahr geworden – und in der Zeit ist auch schon der erste Song vom jetzigen Moderat-Album entstanden: „Fast Land“. Es gab daher immer einen Austausch miteinander. Sascha war damals zudem gerade Papa geworden und hat uns natürlich auch seine Erfahrungen damit geschildert.

Sie machen nun schon ziemlich lange Musik. Gibt es Facetten Ihres Berufs, die Sie heute als deutlich anstrengender empfinden als früher?

Wir gehören mittlerweile jedenfalls zu den alten Hasen, auch wenn wir nicht zur ersten Generation der Berliner Elektroszene zählen. Aber es kommen dennoch regelmäßig Fragen wie: Wie war das denn früher, Anfang der 90er in Berlin? Und meine Antwort ist dann immer: War geil, aber anstrengend. Es gab ja noch kein Internet, sämtlicher Informationsaustausch lief über Papier und Print. Dass früher alles besser war, würde ich jedenfalls nicht sagen. Ich finde auch nicht, dass die Geschichte der elektronischen Musik auserzählt ist. Die wird permanent weiterentwickelt. Mein Appell an alle Jungproduzent:innen da draußen lautet daher: Traut euch! Probiert euch aus! Nutzt die Möglichkeiten!

Farin Urlaub hat kürzlich in einem Interview über seine Beziehung zu Bela B gesagt: Wir kennen uns so gut, dass Freundschaft schwierig wird. – Ist das etwas, das Sie, bezogen auf Ihre Band, nachempfinden können?

Man muss auf jeden Fall den Überblick behalten, weil zu der freundschaftlichen Komponente nun mal auch eine geschäftliche hinzukommt. Es lohnt sich daher immer, darüber zu sprechen und sämtliche Sorgen und Nöte klar zu benennen. Reden ist das Allerwichtigste.

Fahren Sie manchmal zusammen in den Urlaub?

Mit Gernot bin ich schon oft gemeinsam weggefahren, mit Sascha bisher allerdings noch nicht. Würde ich aber jederzeit machen. Wobei: Wir waren schon häufig im gemeinsamen Tourlaub. Falls das zählt …

Das neue Album „MORE D4TA“ erscheint  am 13. Mai bei Monkeytown Records