Dass Musik un- oder gar überpolitisch sei – das war der große Traum jener Dirigenten, die während des Nationalsozialismus in Deutschland ihre Karrieren vorantrieben: Wilhelm Furtwängler, Karl Böhm oder Herbert von Karajan mussten sich nach dem Krieg Fragen gefallen lassen. Musik steht, schon weil sie öffentlich stattfindet und öffentlich finanziert wird, in politischen Zusammenhängen, daher kann sie nicht unpolitisch sein.
Daher halten sich die Institutionen jetzt nicht zurück. Der philharmonische Chefdirigent Kirill Petrenko, der als Kind mit seinen Eltern vor dem Antisemitismus in seiner Heimat Russland floh, erklärt: „Der heimtückische und völkerrechtswidrige Angriff Putins auf die Ukraine ist ein Messer in den Rücken der ganzen friedlichen Welt. Es ist auch ein Angriff auf die Kunst, die bekanntlich über alle Grenzen hinaus verbindet. Ich bin zutiefst solidarisch mit all meinen ukrainischen Kolleginnen und Kollegen und kann nur hoffen, dass alle Künstlerinnen und Künstler für Freiheit, Souveränität und gegen die Aggression zusammenstehen werden.“
Das alte Ideal des überpolitischen Kunstwerks ist in der verrutschten Formulierung des über Grenzen „hinaus“ – statt „hinweg“ – verbindenden Kunstwerks erinnert. Petrenkos Hoffnung indes zerschellt an Künstlern, die sich mit Putins Regime zutiefst verbunden zeigen. Valery Gergiev, Chefdirigent des St. Petersburger Mariinsky-Theaters und der Münchner Philharmoniker, hat Putins Politik vom Kaukasus-Krieg über die Annexion der Krim bis zur Verurteilung homosexueller Beziehungen offen unterstützt. Das war für München kein Grund, ihn nicht zum Chefdirigenten zu machen; umstritten war es von Anfang an.

