Album „Hinüber“

Berliner Sängerin Mine: Elefanten-Pop und produktive Pandemiezeit

Mines Album „Hinüber“ ist in den Charts gelandet. Die Berliner Musikerin könnte sich also zurücklehnen. Doch sie bleibt aktiv. Ein virtuelles Treffen.

Die Berlinerin Mine hat mit „Hinüber“ gerade ein neues Album veröffentlicht.
Die Berlinerin Mine hat mit „Hinüber“ gerade ein neues Album veröffentlicht.Benjamin Pritzkuleit

Berlin-Wenn Jasmin Stocker alias Mine über ihr Album „Hinüber“ spricht, sagt sie, dass es ihre „letzte Platte“ sei. Dabei ist die CD der 35-Jährigen gerade erst erschienen. In der vorherigen Woche ist „Hinüber“ direkt auf Platz 13 der deutschen Charts eingestiegen. Die Fachpresse ist begeistert. Wieso also die Distanz der Berlinerin zum eigenen Werk?

In ihrer Wohnung erzählt die gebürtige Stuttgarterin via Videotelefonie, dass sie bereits an einem Folgewerk arbeite. Was für die Öffentlichkeit neu ist, ist für sie schon alt. „Ich habe den ersten Song jetzt so gut wie fertig geschrieben“, sagt Mine über ihre Zukunftsmusik. Bis Ende des Jahres sollen alle Texte für eine Platte stehen. „Es muss nicht fertig produziert sein, aber wenigstens so, dass ich es dann so bald wie möglich rausbringen kann.“

Die Berlinerin Mine ist Sängerin und Produzentin.
Die Berlinerin Mine ist Sängerin und Produzentin.Benjamin Pritzkuleit

Das klingt ambitioniert. In Zeiten, in denen Live-Shows noch immer nicht mit Publikum vor Ort möglich sind, bleiben Musikverkäufe neben Merchandiseartikeln die wichtigste Einnahmequelle. Wobei Mine betont, dass es ihr mit einem weiteren LP nicht ums Geld gehe. „Das Musikmachen fehlt mir live so doll, dass ich mir irgendetwas suchen muss, das ich jetzt machen kann. Und dann habe ich mir gedacht: Ich mach einfach direkt das nächste Album, dann hab ich etwas zu tun und kann mich musikalisch ausleben.“

Wöchentlich wird neue Musik angekündigt oder veröffentlicht

Wie Mine scheint es vielen Musikern und Musikerinnen in der Pandemie zu gehen. Vor etwa einem Jahr wurden etliche Plattenprojekte zunächst verschoben. Christian Müller, PR-und Label-Manager bei dem Berliner Indielabel „Pon't Danic Music“ sagte der Berliner Zeitung damals, dass das neben den fehlenden Live-Möglichkeiten mit ausfallenden Promotouren und den Schwierigkeiten in der Produktion physischer Tonträger zu tun habe. Als das Ende der Pandemie dann auf sich warten ließ, folgten ab Herbst unzählige Alben, einige erschienen sogar ungeplant zusätzlich. Ein Trend, der anhält. Wöchentlich wird neue Musik angekündigt oder veröffentlicht.

Mine ist hier ein gutes Beispiel. Die studierte Jazz-Sängerin und gelernte Produzentin macht nämlich beides. Dabei könnte sie sich zurücklehnen. In den letzten sieben Jahren hat sie sechs Alben veröffentlicht, einen Preis gewonnen und ausverkaufte Konzerte gespielte. „Hinüber“ ist ihr bisher größter Erfolg in den Charts.

Zehn Lieder hat sie auf dem Werk versammelt. Passend zum Albumnamen klingen sie melancholisch, erheitern am Ende aber doch. Der Titelsong kracht etwa mit einem Cello-Riff rein, wie man ihn zuletzt bei Peter Fox gehört hat. Mine singt dazu mit der Schweizer Sängerin Sophie Hunger über ein Meer aus Plastik, volle Köpfe und kalte Füße. Schnell wird klar, dass die Welt hier auch ohne Pandemie ziemlich hinüber ist und man jetzt handeln sollte. In dem Electro-Dance-Stück „Elefant“ tänzelt Mine hingegen um ein Beziehungsproblem, das ein Paar nicht miteinander diskutieren will: „Du kannst ihn sehen, ich seh ihn auch / Doch keiner von uns macht ihm die Türe auf.“ Der Beat wippt, klopft. Und Mine dreht sich wie der Bass solange um den Elefanten im Raum, bis man selbst meint, ihn sehen zu können. Das macht so viel Spaß wie auf ihrem Beziehungsalbum mit Rapper Fatoni.

Zu individuell für Helene Fischer

Wie die Musikerin aus alltäglichen Phrasen kleine Wahrheiten destilliert, diese mit ihrer Sopranstimme betont und Melodien und Genres zusammenwirft, ist schon besonders. So sehr, dass sich Kritiker seit ihren ersten Liedern schwer tun, sie musikalisch einzuordnen. Verweise zu ihren befreundeten Rap-Kollegen Edgar Wasser und Danger Dan werden ebenso eingestreut wie zu der deutsch-polnischen Pop-Sängerin Balbina. Manchmal erinnert Mines Musik aber auch an den Schlager-Pop von Lea. Letztlich kann man sie mit einem Überraschungsei vergleichen: eine glänzende, teils raue Verpackung, unter der sich eine zarte Hülle verbirgt, und im Kern versteckt sich etwas Unerwartetes. Jedes Mal aufs Neue.

Auf „Hinüber“ ist ihr das besser denn je geglückt. Im Interview erzählt sie, dass das Werk ausschließlich in ihrer Wohnung entstand – sie hörte etwas im Fernsehen, klappte den Laptop auf, baute Beats, schrieb einen Text. Die räumliche Begrenzung schränkte sie nicht ein. Wobei sie zugibt, dass sie langsam neuen Input benötige. Sie habe einen Podcast kreiert, ein Online-Konzert gespielt und ihre Garnelen-Sammlung ins Internet gestreamt. Das sind ganz schön viele Dinge für die sich hinziehende Corona- Zeit. „Ich bin so ein Flummi, ich brauche immer etwas zu tun“, gesteht Mine und strahlt einen dabei mit ihren leuchtenden Augen an. Man darf gespannt sein, was noch aus diesem Überraschungsei kommt. 

Mine: „Hinüber“ (Caroline / Universal Music) ist bereits erschienen; Live am 7. August im Rahmen der Picknick-Konzerte in Berlin. Infos und Tickets unter: www.picknick-konzerte.de