Björk veröffentlicht seit 45 Jahren Musik, und seit 30 Jahren bekommen auch wir etwas davon mit, so viel, dass ihr Werk inzwischen in vielen Biografien zu einem klingenden Reflexionsgleis geworden ist, von dem aus man mit der nötigen Schiefheit auf die Phasen des eigenen Lebens zurückblicken kann. Dazu muss man überhaupt kein Fan sein; die Hervorbringungen dieser isländischen Künstlerin sind derart charakteristisch und nervenreizend, dass man nicht an ihnen vorbeihören kann. Die Kontinuität ergibt sich aus ihrer himmelhellen Stimme, die noch singt, wenn sie schreit. Wer sie einmal gehört hat, weiß, was für ein Unsinn es ist, die Existenz von Elfen abzustreiten und so zu tun, als hätte man keine Sehnsucht nach ihnen und als würde man sich vor ihnen nicht fürchten.
Für den 30. September ist ein neues Album mit dem Titel „Fossora“ angekündigt, was Björk mit „Eine, die gräbt“ übersetzt. Nach ihrem luftigen „Utopia“-Album sucht sie jetzt Bodenkontakt. Schon jetzt kann man mit dem vorab veröffentlichten Titel „Atopos“ sehen und hören, was sie damit meint. Atopos kommt wiederum aus dem Griechischen und könnte mit Ortlosigkeit oder Gegenwelt übersetzt werden. Aber es geht ja so viel verloren, wenn man etwas übersetzt!
Es sind vielleicht die in allen Formen und Farben leuchtenden Pilze, die den Widerspruch zwischen der verwurzelten Erdverbundenheit und der pulsierenden Sehnsucht nach dem Anderen auflösen. Im eher dunklen Video wirkt allein schon der Anblick der Pilzarchitekturen, ihrer mürben, schleimtropfenden Schönheit und ihres aufgefächerten Gestaltreichtums bewusstseinserweiternd. Und Björk trägt Kostüme, die sie als Wesen erscheinen lassen, von dem man wie von Pilzen nicht sagen kann, ob es zu den Pflanzen oder Tieren gehört. Mal tanzt sie als putzige blauhaarige Hummel mit blanken Augen im Wimperngebüsch und hochgeschobenem Busen herum, mal wirft sie sich als eleganter und biegsamer Plüschkaktus, bei dem die Stacheln eher kuschelfreudige Tentakel sind, in die Posen einer Waldfee-Diva.
Die Hoffnung ist ein Muskel, der uns verbindet
Die Stimmung mag noch so ausgelassen sein – sie rekurriert auf die Vereinzelung in der Corona-Lockdown-Zeit, die man aber ohne Weiteres als eine Metapher für unsere moderne Lebensweise verstehen kann und für den Fetisch des Individuellen. „Sind das nicht alles Ausreden, um sich nicht zu verbinden?“, singt sie und ruft in den Raum, dass unsere Unterschiede irrelevant sind. Ja, nieder mit den Grenzen! Öffnet eure Häute! Strebt nicht nur nach dem Licht, sondern wuchert aufeinander zu. „Hoffnung ist ein Muskel, über den wir uns miteinander verbinden“, singt sie ziemlich fröhlich, so, als hätte sie diesen Muskel eben entdeckt und wäre sehr erpicht darauf, ihn anzuspannen.


