Dieses Publikum hat Bock zu tanzen! Keine Selbstverständlichkeit. Der edle Admiralspalast ist am Donnerstagabend nämlich bestuhlt. Eigentlich hätte man für ein funky Disco-Soul-Thema wie Anastacia ja gleich die royalroten Sitzpolsterreihen im Parkett rausnehmen können. Hat man zwar nicht, aber spätestens beim ersten Song-Highlight „Paid My Dues“, Anastacias Hit-Single von 2001, sitzt wirklich niemand mehr, außer die eine Dame im Rollstuhl, die aber doch gut gelaunt im Takt mitwippt.
Respekt! Bei Madonna und den Pet Shop Boys bleiben schon mal viele Fans noch bei den größten Tanzbodenknallern sitzen, wenn die Stühle schon mal da sind. Nicht so bei Anastacia, die sich selbst in besagtem Song empowernd und natürlich mit dem ihr ganz eigenen markanten Soul-Twang in der Stimme als die Unaufhaltsame besingt. Die Fans stehen auf und stehen drauf. Natürlich trägt Anastacia auch, wie quasi immer, getönte Brillengläser (zunächst in Orange) aus ihrer spektakulären Brillensammlung, die wohl nur von der von Elton John noch übertroffen wird.
Derweil umschwirren zwei Tänzerinnen im Lack-BH und ein Tänzer im Netzhemd Anastacia wie aufgescheuchte Flattervögel. Anastacia selbst begibt sich, als sie die Stimme anhebt, in eine gewagte, auf die Schwerkraft pfeifende Rückbeuge, auf die jede Yoga-Lehrerin stolz wäre. Sie wirkt dabei wie eine Fusion aus Soul-Diva und bodenständiger Soccer Mom, die gleich die Kids zum Fußballtraining kurvt – aber davor noch etwas Spaß haben will.

Aber nicht allein zu Hause vor dem Spiegel, sondern mit ihrem Publikum (davon heute Abend viele um die 40, Ausnahmen bestätigen die Regel), das sich bei einem Anastacia-Konzert freilich auch etwas in Nostalgie suhlen will: Die größten Hits von Anastacia stammen vom Anfang des Jahrtausends, einer Zeit, als die meisten von uns ziemlich happy waren, dass die Welt-Apokalypse gerade noch mal verhindert wurde, da – wider Erwarten – doch sich nicht sämtliche Computersysteme beim Sprung ins neue Jahrtausend kaputt-crashten.
„You’re awesome“, schreit ein Fan aus der dritten Reihe, Anastacia sieht es auch so: „I agree“, entschuldigt sich aber auch dafür, dass die Tour ein paarmal verschoben werden musste und will – auf Deutsch – wissen: „Berlin, wie geht’s?“ Na prächtig! Wahrscheinlich Zufall, dass es genau der „Freedom Day“ ist, an dem auch die Maskenpflicht in Berlin weitgehend fiel – aber das Publikum hat zweifelsohne Bock, das Leben zu feiern. Viele hier heute Abend wissen freilich auch, dass Anastacia Mitte der Nullerjahre weitgehend aus der Pop-Arena verschwand, da sie gegen den Brustkrebs kämpfte, erfolgreich, aber sie war eben doch jahrelang weg aus den Medien.

Etwas bedächtiger wird es zwischendurch am Donnerstag im Admiralspalast bei Midtempo-Country und auch einer Klavierballade. Gegen Ende des anderthalb Stunden kurzen Sets nimmt die Band (Schlagzeug, Bass, Gitarre, Keyboards, Saxofon) aber wieder ordentlich Fahrt auf: Wir sind zurück aus der Kuschel-Country-Scheune im Studio 54. Die Leuchter im Admiralspalast strahlen und der Disco-Beat pulsiert. Anastacia reibt ihren Popo an dem Tänzer, der, wie wir erfahren, Scott heißt und an diesem Tag Geburtstag hat, weshalb er auch ein Ständchen bekommt. Und auch im Publikum gibt es zunehmend Hetero- und Homo-Körperkontakt.
Ein wilder Pianolauf, dann rastet auch die E-Gitarre aus. Drei Frauen weit vorne singen dreistimmig mit. Die Tanz-Crew schwingt noch ein paar Pirouetten vor dem Bühnenbild, das aussieht wie Turntürme, die mittelblau und froschgrün flackern. Anastacia hat sich irgendwie zwischendurch umgezogen, zum mindestens zweiten Mal, und trägt jetzt Jeans mit Schlag sowie eine enge schwarze Jacke mit Gold-Lametta. Immer noch ganz die Soccer-Mom-Diva. Sie fragt, ob wir uns aufgewärmt hätten. Entweder sie kokettiert und will uns weiter anstacheln – oder die Scheinwerfer auf der Bühne sind so grell, dass sie nicht sieht, wie alle auf den drei Stockwerken im Palast abgehen.


