Michel Gaißmayer war ein brillanter Geist, stets aufs Neue entfacht von schonungsloser Ehrlichkeit: Wie wenige konnte er Menschen inspirieren, weil er ohne Rücksicht auf Verluste sagte, was er dachte. Er dachte kompetent, weil er viel wusste. Er empfahl nur Bücher, die er verstanden hatte. Er verknüpfte Menschen, die danach einander verbunden blieben. Gaißmayer kannte Gott und die Welt, wobei er sich nur für die Welt interessierte: Er war Berater und Wahlkampfhelfer von Willy Brandt, brachte Udo Lindenberg 1983 zu seinem legendären Konzert im Palast der Republik nach Ost-Berlin. Er war als Kommunist in West-Berlin aktiv, nicht als Anhänger einer West-Gruppe, sondern als Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins. Gaißmayer war anarchistisch und respektlos.
Er arbeitete als Journalist, zuletzt für Alexander Kluges dctp-Fernsehmagazine. Wenn er sich an jemanden heranmachte, um ihn als Gesprächspartner zu gewinnen oder ihm Informationen zu entlocken, befleißigte er sich einer geradezu frivolen Servilität: Er ließ den Gesprächspartner spüren, dass seine Freundlichkeit geheuchelt war. Wer das Spiel durchschaute, konnte lebenslang mit ihm befreundet bleiben. Freundschaft bedeutete für ihn, den anderen nicht zu schonen. Wenn man ihn einige Jahre nicht gesehen hatte, begrüßte er einen mit einem strahlenden Lächeln: „Sie sind aber alt geworden, mein Lieber!“
Kultur
Michel Gaißmayer ist tot
Er war Berater von Udo Lindenberg und Willy Brandt, eine West-Ost-Figur und zuletzt sehr einsam.

Michel Gaißmayer (l.) mit Udo Lindenberg in Ost-Berlin, 1983Foto: Kristina Eriksson