Nach kurzer, schwerer Krankheit verstarb Esther Bejarano (geb. Loewy) letztes Jahr in ihrer Wahlheimat Hamburg. Mit ihr verstummte eine der letzten Stimmen, die aus eigener Erfahrung an die Verbrechen der Nationalsozialisten erinnerte. Bejarano hatte das Vernichtungslager Ausschwitz überlebt, wo sie im Mädchenorchester Akkordeon spielte. Dadurch wurde sie weitgehend von der Zwangsarbeit verschont, die bekanntlich viele der unterernährten Insassinnen und Insassen das Leben kostete. Bei einem der zahlreichen Todesmärsche, auf die die Nationalsozialisten Menschen in den Konzentrationslagern in den letzten Kriegswochen schickten, gelang Bejarano schließlich die Flucht.
Die Einladung des Frontmanns der Band Frei.Wild für 1 Abend zu Esther Bejaranos Vermächtnis ist nicht nur eine Entwürdigung der Antifaschistin #Bejarano. Hier werden außerdem neurechte Positionen durch die Aneignung toter & lebender Juden*Jüdinnen normalisiert. Wirklich Ekelhaft.
— Max Czollek (@rubenmcloop) August 11, 2022
Bis zuletzt engagierte sich Bejarano gegen Rassismus und Antisemitismus und trat als Musikerin etwa gemeinsam mit der Band Microphone Mafia auf. „Ich werde so lange singen, bis es keine Nazis mehr gibt“, sagte Bejarano über ihre musikalischen Auftritte auch noch im hohen Alter. Bis sie vergangenes Jahr starb, versuchte sie, durch Musik junge Menschen gegen Rechtsextremismus zu immunisieren und sie ihrerseits vor den „neuen Nazis“ zu bewahren. Das sagte Bejarano am Holocaust-Gedenktag 2021 in den „Tagesthemen“ der ARD, nur wenige Monate vor ihrem Tod.
Rechtsextreme Texte schon vor der Zeit bei Frei.Wild
Bei einer geplanten Lesung aus Bejaranos letzten Interviewbuch war bis Freitag Mittag unter anderem Phillipp Burger, der Frontmann der Südtiroler Band Frei.Wild eingeladen. Die Band war in den letzten Jahren immer wieder für ihre rechtsextremen Texte in die Kritik geraten. „Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat / Ohne sie gehen wir unter / Stirbt unser kleines Volk“ heißt es etwa in dem Frei.Wild-Song „Wahre Werte“. Frontmann Burger hatte zuvor in der Band Kaiserjäger rechtsextreme und rassistische Texte wie „diese N***r und Yugos werden sesshaft, doch den größten Teil der Schuld tragt nun mal ihr, weshalb haben wir auch dieses Gesindel hier?“, gesungen.
Die Veranstaltung, die im jüdischen Gemeindezentrum Gelsenkirchen stattfindet, wurde nicht von der Gemeinde selbst organisiert, sondern von der Veranstaltungsagentur LAMALO Consulting GmbH. Auf Anfrage der Berliner Zeitung reagierte die Gesellschaft nicht. Allerdings verkündete sie auf ihrer Facebook-Seite: „Nach reiflicher Überlegung und mit Blick auf die öffentliche Kritik, haben wir uns entschlossen, auf die Teilnahme von Philipp Burger an der Diskussion im Nachgang zur Lesung ‚Nie schweigen‘ in Gelsenkirchen am 22. September zu verzichten.“
Auf Twitter äußerten sich zahlreiche Vereine und Personen aus dem Umfeld Esther Bejaranos bestürzt über den Charakter der Veranstaltung. So schrieb etwa die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN – BdA) von einer „plumpen Vereinnahmung“ des Andenkens an Bejarano: „Gegen die Normalisierung rassistischer, faschistischer und völkischer Positionen hat Esther immer gekämpft.“
Gegen diese plumpe Vereinnahmung des Andenkens an Esther Bejarano sprechen wir uns als VVN-BdA in aller Deutlichkeit aus. Gegen die Normalisierung rassistischer, faschistischer und völkischer Positionen hat Esther immer gekämpft.
— Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-BdA eV (@vvn_bda) August 11, 2022
Meron Mendel: „Esther Bejaranos politisches Vermächtnis verdreht“
Außer Burger sind zu der Veranstaltung Abraham Lehrer (Vizepräsident Zentralrat der Juden in Deutschland), Holger Münch (Präsident des BKA), Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Antisemitismusbeauftragte NRW und FDP-Politikerin) sowie der Psychologe und Autor Ahmad Mansour eingeladen.
Auf Nachfrage der Berliner Zeitung positionierte sich auch Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank und deutsch-israelischer Historiker kritisch zu der geplanten Veranstaltung. Mendel kritisierte mehr, als die zum Zeitpunkt des Gesprächs noch geplante Anwesenheit Burgers: „Das Gespräch instrumentalisiert die Erinnerung an Esther Bejarano. Ein Jahr nach ihrem Tod wird versucht, ihr politisches Vermächtnis zu verdrehen“, sagte Mendel und stellte die naheliegende Frage in den Raum: „Wie sollen vorwiegend Konservative und Rechte eine links-progressive Person wie Esther angemessen würdigen? Aus diesem Kreis sehe ich keinen einzigen, den Esther zu ihrer Lebzeit als politische Mitstreiter gesehen hätte.“
Burger sei – zumal vor seiner Ausladung – nur die Spitze des Eisbergs gewesen. „Esther war eine linke Jüdin und Antifaschistin, sie hätte sich sicher nie identifiziert mit Leuten, die Blut- und Bodenideologie propagieren. Aber auch nicht mit Personen wie Ahmad Mansour, die Muslime pauschal als Antisemiten an den Pranger stellen. Und das noch dazu einem Eintrittspreis von 21,50 Euro pro Ticket.“ Auch der Zentralrat der Juden, so Meron Mendels Einschätzung, spiegele Bejaranos politische Position nicht angemessen wieder, die sich stets deutlich links vom Zentralrat positionierte.


