Literatur

„Trotz“: Ronja von Rönne erkundet die helle und dunkle Seite eines Gefühls

Trotz kann zu mächtig werden und Neugier ersticken. Die Schriftstellerin Ronja von Rönne beobachtet an sich selbst die besondere Kraft einer emotionalen Ausdrucksweise.

Die Autorin Ronja von Rönne in ihrer Wohnung
Die Autorin Ronja von Rönne in ihrer WohnungFabian Sommer/dpa

„Benimm Dich doch mal“, „Hab keine Angst“, „Finde Deine Sprache“ – so lauten einige Titel der auf Arte ausgestrahlten Serie „Streetphilosophy“, für die sich Ronja von Rönne vor laufender Kamera mit anderen Menschen trifft. Lebenskünstler, Experten, Durchwurschtler – zum Konzept der „Streetphilosophy“ gehört es, dass nichts vorgegeben ist außer der Neugier, sich von Alltäglichem überraschen zu lassen. Die Schriftstellerin Ronja von Rönne ist für das unkonventionell geschnittene Schwarz-Weiß-Format eine ideale Moderatorin. Unerschrocken, naiv, spontan, wissbegierig, altklug und mädchenhaft. Abwechselnd und alles zugleich. Zum Prinzip der Sendung gehört es, Themen, die in der Luft liegen, auf den Grund zu gehen. Der Drang, Fragen zu stellen, ist dabei mindestens so groß wie die Bereitschaft, sie im Zweifel unbeantwortet zu lassen. Es ist ja schließlich eine Unterhaltungssendung.

Trotz – ein Wegbereiter für den Fortschritt

Die Lektüre des neuen Buches von Ronja von Rönne dauert kaum länger als eine Folge der „Streetphilosophy“, und das Erkenntnisinteresse, aus dem ihre Erkundungen über die menschliche Regung Trotz entstanden sind, ähnelt auffällig der Straßenphilosophie. In beiden Formaten ist immer eine große Portion Ronja von Rönne mit dabei. Anhand eigener Erlebnisse erklärt sich die Autorin die wundersame Doppelgestalt des Trotzes, der die Verhältnisse revolutionieren kann, zugleich aber ein großer Bremser und Verhinderer ist. „Der Trotz behauptet frech: so nicht. Das muss besser gehen. Da muss doch noch mehr sein. Und ist damit Wegbereiter für den Fortschritt. Kein Bock, dem Mammut hinterherzujagen: Der Mensch erfindet die Landwirtschaft. Kein Bock, drei Tage zu brauchen, um die Schwiegereltern zu besuchen: Der Mensch erfindet die Dampfmaschine, den Feminismus, die Gleichberechtigung, er bäumt sich auf gegen all das Gegebene und stürzt sich waghalsig in die Möglichkeit.“

In den gelungenen Passagen empfiehlt sich das Büchlein als Vademecum, die positiven Energien des Trotzes für sich zu gewinnen, ohne sich von den lähmenden ins Bockshorn jagen zu lassen. Ronja von Rönne hat als junge Erfolgsautorin gelernt, Medienskandale anzuzetteln und aus ihnen – na ja – fürs Leben zu lernen. In einem Text für die Tageszeitung Die Welt hat sie eine Kolumne geschrieben, die durch die Überschrift „Warum mich der Feminismus anekelt“ zusätzlich emotionalisiert wurde. Aus Übermut? Experimentierlust? Kalkül? Ronja von Rönne beschreibt die Mechanismen eines Hypes, den sie selbst angezettelt hat, und aus dem Impuls der Selbstaufklärung, der dieses Buch durchzieht, kommt sie zu abgeklärten Sätzen wie diesen: „Trotz bedeutet: Risiko. Er kann uns antreiben oder bremsen, er ist nie ein Garant, immer impulsiv und nie eine sichere Anlage.“

Zweifel, Verunsicherung, Trotz

Die 1992 geborene Ronja von Rönne gilt aufgrund ihrer erstaunlichen Karriere als Mutmacherin ihrer Generation, gerade auch weil sie die Kehrseite ihres Mitteilungsdranges nie verschwiegen hat: Zweifel, Verunsicherung, Depression. Gleich mehrfach lässt sie während des Schreibens im Zwiegespräch mit ihrer Lektorin ihre Furcht aufscheinen, das Buch nicht rechtzeitig oder überhaupt nicht fertig zu bekommen. Und dann plappert sie doch wieder weiter von besonderen Phänomenen und Beispielen aus der Geschichte, etwas vom trotzigen Mut der Rosa Parks, einen Sitzplatz im Bus zu Zeiten der Segregation in den Südstaaten der USA nicht freizumachen. Ausgiebig, wenn man das für ein so kurzes Buch überhaupt sagen kann, widmet sie sich der katholischen Kirche und den Religionen insgesamt, die gewissermaßen Großmeister des Trotzes und einer daraus resultierenden Weltgeltung sind. Das ist meist sehr assoziativ geschrieben und nicht auf Durchdringung angelegt.

Zu Beginn und zum Ende schreibt Ronja von Rönne über ihren Freund Martin, und man ahnt, dass die Geschichte nicht gut ausgehen wird. Auf anrührende Weise verweist die Sache mit Martin auf eine existenzielle Dringlichkeit des Trotzes, die in flapsiger Streetphilosophy nicht aufgehen kann und will.

Ronja von Rönne: Trotz; dtv; 103 Seiten, 15 Euro