Literatur

Schuften, saufen, sterben: Christian Baron schildert das soziale Elend im Westen

Mit seinem Erstling hat Christian Baron von seiner Kindheit in Armut erzählt, mit „Schön ist die Nacht“ geht er zurück zur Generation seiner Großväter.

Bauen die Häuser anderer Leute: Ein Zimmerer
Bauen die Häuser anderer Leute: Ein Zimmererimago/Liesa Johannssen

Christian Baron hat sich, wie er im Interview mit dem Deutschlandfunk jüngst sagte, mit „Ein Mann seiner Klasse“ nackt gemacht. Sein Debüt erzählte von seiner Kindheit in Kaiserslautern in den 90ern. Er ist 1985 geboren und als Kind eines alkoholkranken, brutalen Möbelpackers und einer depressiven Mutter aufgewachsen. Das Buch, das kein Roman ist, sondern eine literarisierte Biografie, erzählt von Prügeleien, Suff, Hunger, Angst und immerhin: kleinen „Oasen des Glücks“.

Beide Eltern sind früh gestorben und haben vier Kinder hinterlassen, dass sie einen Weg aus dem Elend gefunden haben, ist den Schwestern der Mutter zu verdanken, aber auch den Lehrern und dem Jugendamt. Dass so ein Aufstieg in unserer Gesellschaft Glückssache ist, davon zeugt und dafür steht der Sozialist Baron, indem er ein seltenes Beispiel im deutschen Medien-, Theater- und Literaturbetrieb abgibt und mit seinen Themen ein Alleinstellungsmerkmal gefunden hat: das Elend mitten in unserer Wohlstandsgesellschaft.

Das Buch ist ein Erfolg, Baron wird herumgereicht und kann der Klasse seiner Herkunft eine Stimme verleihen, den Blick der Satten auf sie richten, jener, die den Kulturbetrieb und die Narrative beherrschen. Sogar das Theater hat sich für den authentisch sozialdramatischen Stoff interessiert, und die Hannoveraner Bühnenadaption hat es zum Theatertreffen nach Berlin geschafft, bei der, so die schlagende Inszenierungsidee, ein Laie – ein echter Arbeiter – ein Haus errichtet und damit die co-abhängige Familie behaust und zugleich einsperrt.

Jetzt muss der nächste Schritt folgen. Und was kann noch kommen, wenn man sich mit seinem Debüt entblößt hat? Christian Baron entfernt sich mit seinem Buch „Schön ist die Nacht“ einen Schritt von seinem Ich, indem er die Geschichte seiner Großväter erzählt – Opa Horst und Opa Willy. Auch sie: Männer ihrer Klasse. Diesmal steht „Roman“ auf dem Buchdeckel, das Buch muss ohne die Augenzeugenschaft des Erzählers auskommen.

Christian Baron
Christian BaronBenjamin Pritzkuleit

Baron schreitet zurück in eine Zeit, in der er noch nicht gelebt, in der aber seine Geschichte angefangen hat. Wir befinden uns im tiefen Westen der Bundesrepublik und schreiben die 60er- und 70er-Jahre, Wirtschaftswunderzeit und soziale Marktwirtschaft versprechen Wohlstand für alle, die sich ordentlich verhalten und ihre Leistung bringen. In diesen vorneoliberalen Zeiten gibt es noch so etwas wie Klassenbewusstsein und machtvolle Gewerkschaften, der Krieg ist noch nicht lange vorbei, die Generationen sind geprägt von Schuld und Leid und der Unfähigkeit, darüber zu sprechen.

Strukturelles und transgeneratives Scheitern

Willy versucht, den Weg des Gerechten zu gehen. Er arbeitet fleißig als Zimmerer, scheut den Kontakt zur Gewerkschaft, säuft lieber in Gesellschaft, kümmert sich um seine Familie und dreht, dies aber eher aus der unverbrüchlichen Kameradschaft zu Horst, auch mal ein Ding. Sein Anstand, könnte man sagen, ist seine Schwäche. Horst wiederum darf als arbeitsscheu bezeichnet werden, er guckt nach seinem eigenen Vorteil, schröpft die, die ihm vertrauen, zuerst, verliert, was er ergaunert, und schimpft auf die Ungerechtigkeit der Welt. Beide stellen sich nicht gerade geschickt an, haben kein Glück und scheitern. Und dieses Scheitern setzt sich fort in der nächsten Generation: in der Tochter von Willy und dem Sohn von Horst, die wiederum die Eltern von Christian Baron sein werden.

Christian Baron schildert mit Blick für Details das naturgetreue Milieu, gibt zeitgeistgetreu die Dialoge wieder, teilweise im Dialekt. Er zieht ein realistisches Abbild, das in Ton und Erzählerposition an Hans Fallada und die 30er-Jahre erinnert – als hätte es den Zivilisationsbruch nicht gegeben oder als sei er spurlos an Teilen der Gesellschaft vorbeigegangen.

Beim Lesen wird man Zeuge eines rassistischen, frauenfeindlichen Denkens, das Baron unerschrocken reproduziert, weil es zur Wahrheit gehört. Und mal abgesehen davon, dass sich ein Student als Tresenkraft in der Stammkneipe was dazuverdient, kommen Willy, Horst und ihre Kinder kaum in Kontakt mit dem gesellschaftlichen Aufbruch jener Jahre. Sie verkümmern, saufen und schuften sich krank, prostituieren sich, schlagen einander, versinken in Depressionen, sterben an Krebs. Man hat sie vergessen. Nicht nur, dass man ihnen nicht die Hand gereicht hat. Man hat sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, ihnen in den Hintern zu treten.

Christian Baron. Schön ist die Nacht. Roman. Claassen-Verlag Berlin, 2022, 384 Seiten, 23 Euro