Die Dinge, an die der Kohlenhändler Billy Furlong in seiner Kleinstadt südlich von Dublin denkt, sind die Bestandteile seines Alltags. Ihm ist bewusst, dass er im Aufwachsen Glück hatte, weil seine Mutter Hausangestellte bei einer Witwe bleiben durfte, als sie mit ihm schwanger wurde. Er ist stolz, nun der eigenen Familie, einer umsichtigen Frau und fünf Töchtern, ein Auskommen geben zu können. „Manchmal, wenn Furlong sah, wie die Mädchen die kleinen Dinge taten, die man tun musste – in der Kirche niederknien oder einem Ladenbesitzer fürs Wechselgeld danken –, empfand er eine tiefe innere Freude, dass dies seine Kinder waren. ,Haben wir’s nicht gut getroffen?‘, sagte er eines Abends im Bett zu Eileen. ,Da draußen gibt’s viele, denen’s schlechter geht als uns.‘“
In ihrem Roman „Kleine Dinge wie diese“ konzentriert sich die irische Autorin Claire Keegan auf die Perspektive des Kohlenhändlers. Es ist das Jahr 1985, die wirtschaftliche Lage im Land und direkt vor Ort ist mies. Furlong arbeitet hart, beschließt, sich „bedeckt zu halten und sich mit den Leuten gut zu stellen“. Ein einfacher Mann mit einem klaren Wertekompass, ein Mensch mit einem Gefühl von Anstand.
Die weggesperrten Mädchen
Claire Keegan benutzt einen sehr reduzierten Erzählstil, um dieser Figur gerecht zu werden. Der Übersetzer Hans-Christian Oeser lässt ihn auf Deutsch klar, aber nicht schlicht klingen. Das Wetter führt in diesem Buch direkt zu den Menschen, die mit Wind, Regen und Kälte auskommen müssen. Der Kohlenhändler spürt das auch. In Stoßzeiten, wie während der Handlung kurz vor Weihnachten, unterstützt er die Angestellten bei der Auslieferung der wichtigen Ware.
So schmal der Roman mit 112 Seiten ist, führt Claire Keegan doch langsam zu den beiden wesentlichen Ereignissen hin. Es deutet sich die Klärung für ein Geheimnis an, das seine Mutter ihm immer verschwiegen hatte: wer sein Vater war. Das zweite Ereignis reicht weit über das Private hinaus, zu einem schrecklichen Missstand in der irischen Gesellschaft. Erst 1996 wurde die letzte Magdalenen-Wäscherei geschlossen, informiert Keegan im Nachwort. Der Name kaschiert den Zweck der von der katholischen Kirche zusammen mit dem irischen Staat betriebenen Anstalten für junge Mädchen und Frauen und deren uneheliche Kinder. „Viele von ihnen verloren ihre Babys. Manche verloren ihr Leben.“
Eines Tages fällt dem Kohlenhändler beim Gebäude neben dem Kloster ein verzweifeltes, verängstigtes Mädchen auf. Dieser Mann, der seine Kindheit nicht vergessen hat, dessen Sorgen der Zukunft seiner Töchter gelten, „fragte sich, ob es überhaupt einen Sinn hatte, am Leben zu sein, wenn man einander nicht half“. Seiner einleuchtenden Logik stehen Verhältnisse entgegen, wie sie immer waren. Die Wirtin aus der Nachbarschaft weist ihn auf die Macht der Kirche im Ort hin. Und die Ehefrau ist bereits unzufrieden mit ihm, wenn er einem Bettler ein paar Münzen spendiert.
Claire Keegan lässt es zwischen Hoffnung und Katastrophe in einer beunruhigenden Schwebe, was passieren wird. Das Wichtigste hat sie erzählt, auf wenigen Seiten mit einer überzeugenden Dramaturgie. „Kleine Dinge wie diese“ ist ein Buch zum zweimal Lesen, ein Herzensding, was man nicht mehr missen möchte. Und wenn Claire Keegan dafür am 17. Oktober den britischen Booker-Preis bekommen sollte, wäre das hochverdient.

