Viele Jahre hat sich der belgische Autor, Historiker und Archäologe David Van Reybrouck mit den Folgen des Kolonialismus beschäftigt. Sein Buch „Kongo. Eine Geschichte“ wurde für seine Methode der „oral history“ und den analytischen Blick gefeiert. Dass seine Eröffnungsrede zum Internationalen Literaturfestival Berlin (ilb) am Mittwochabend den Titel „The Colonization of the Future“ trug, war kein Missverständnis. Van Reybrouck schaute wirklich nach vorn.
Es war eine Rede, die immer wieder anschauliche Details aufrief, um dann alarmierend auf das große Ganze hinzuweisen. Dass während seines halbstündigen Vortrags drei bis vier weitere Arten der Flora oder Fauna sterben würden, die zuvor Millionen von Jahren existiert hatten, ließ sich noch ertragen. Doch bis zum nächsten Festival im Jahr 2023 werden rund 55.000 Arten zugrunde gegangen sein. Die letzte große Todeswelle auf der Erde hatte die Dinosaurier dahingerafft. Damals könnte ein Meteorit der Auslöser gewesen sein. Diesmal sind wir Menschen schuld.
Die Hungrigen kamen zu den Schuldigen
Dann erzählte er von seinen Ferien in Südfrankreich, als eines Tages ein dürrer Fuchs zu ihm kam, sich an der Katze nicht störte und Futter von ihm, dem Menschen nahm, ihm sogar die Hand ableckte. David Van Reybrouck schaute ins Publikum, als wollte er beobachten, wie in den Köpfen das Bild von einem niedlichen Fuchs entstand. Als er weiterredete, wechselte er zum Pathos alter Legenden: „Die Landschaft war leer, der Kühlschrank gefüllt und die Hungrigen kamen zu den Schuldigen.“
Der Sommer 2022 „war der Sommer der Wahrheit“, er habe endlich auch in Europa die Folgen der globalen Erwärmung gezeigt. Das gebe uns die Chance zu begreifen, dass die geistige Dekolonialisierung, die mit Straßennamen oder geraubten Kunstwerken so viele Debatten in Europa präge, nicht mehr ausreiche, um die Schuld am globalen Süden abzutragen. Nun müsse die Hitze dekolonialisiert werden. Denn durch die Treibhausgase des Nordens würden die Menschen im Süden ihrer Freiheit, ihrer Gesundheit, ja ihres Lebens beraubt. Die armen Länder mögen finanziell verschuldet sein, die reichen jedoch seien ökologisch verschuldet.

