Bücherfrage der Woche

Björn Kuhligk: „Ohne Corona wären mir viele Formulierungen nicht eingefallen“

Der Berliner Autor legt ein neues Buch vor und liest daraus: „An einem Morgen im März“. Es ist ein Langgedicht. Wir fragen, wie das Virus in die Verse kam.

Björn Kuhligk
Björn Kuhligkprivat

In Björn Kuhligks gerade bei Hanser Berlin erschienenem Buch aus der Pandemiezeit, „An einem Morgen im März“, gibt es einen Buchhändler, der „sagte, die Corona-Romane, die bald/ kämen, die wolle er nicht lesen“.

Björn Kuhligk, der Lyrik, Prosa und Reportagen veröffentlicht hat und auch fotografiert, hat das Leben mit dem Virus in Literatur gebracht, aber nicht in einen Roman.

Wir fragen ihn: Weshalb erschien Ihnen das Gedicht als passende Form, um über Corona zu schreiben?

Björn Kuhligk: Ich habe in der Zeit des ersten Lockdowns, als es gar keine Normalität mehr gab, eine Art Tagebuch geführt. Es war diese Phase der Ängste und Verunsicherungen. Ich notierte Assoziationen, skurrile Eilmeldungen aus den Nachrichten. Und dann merkte ich eines Tages, dass ich damit mitten in der Arbeit an einem Langgedicht steckte. Also strich ich alles weg, was noch zu offensichtlich oder zu beschreibend war. Ich wollte eine Literatur, die in kürzester Zeit auf den Punkt kommt. Das vermag Lyrik. Ihre sprachliche Dringlichkeit und Präzision schlägt sich auch auf den Inhalt nieder. Lyrik kann, was einen sprachlos macht, was einen verstummen lässt, zur Sprache bringen. Hätte ich einen Roman geschrieben oder Kurzgeschichten, hätte ich auch Kraft dafür verwendet, Dinge zu beschreiben, das fand ich hier aber völlig überflüssig.

Ein Langgedicht ist noch einmal etwas Besonderes, eine sehr freie Form der Lyrik, in der ich die Möglichkeit habe, erzählende Strukturen neben etwas sehr Kondensiertem, Präzisem zu stellen und die unterschiedlichsten sprachlichen Formen miteinander zu verknüpfen. Innerhalb der Begrenzung des Langgedichts gibt es sehr viel Freiheit. Das war mir wichtig.

Ich habe entlang der Monate von März 2020 bis März 2021 geschrieben und das Gedicht in drei Teilen aufgebaut. Als Erstes findet so eine Art Inventur statt: Das Ich ist verwundert, was eigentlich passiert, fragt, woran es sich festhalten kann. Nach einer Zeit des Sich-Fügens gibt es im Sommer fast ein bisschen Euphorie, als wieder mehr Freiheiten da sind. Mit dem zweiten Lockdown und dem Wechsel in den Herbst und den Winter kommt es zur Krise. Man kann, glaube ich, dieses Gedicht auch als eine Beschreibung einer allgemeinen psychischen Krise lesen, losgelöst von der Pandemie. Obwohl mir ohne Corona viele Formulierungen und Bilder gar nicht eingefallen wären.

Lesung 16. Mai, 19 Uhr, Inselgalerie, Petersburger Straße 76A