Biografie einer Frau

Adriana Altaras erzählt sehr lustig, sehr traurig, voll Herz und Seele

Mit dem Buch „Besser allein als in schlechter Gesellschaft – Meine eigensinnige Tante“ ist ihr wieder ein großer Wurf gelungen.

Adriana Altaras: Schauspielerin, Regisseurin und großartige Geschichtenerzählerin
Adriana Altaras: Schauspielerin, Regisseurin und großartige GeschichtenerzählerinMartin Walz

Es gibt Bücher gegen den Kummer des Alltags, und ein paar davon hat Adriana Altaras geschrieben - weil sie ihre Leserschaft an die Hand nehmen und mit guten, hinreißend erzählten Geschichten glücklich machen kann. Die 1960 in Zagreb geborene Schauspielerin und Regisseurin – schon lange in Berlin daheim – ist eine wunderbare Schriftstellerin, die Personen und Dinge mit unwiderstehlichem Humor darzustellen vermag. Dabei sind es oft wenig erfreuliche antisemitische Zusammenhänge, die sie in ihren autobiografischen Büchern wie „Titos Brille“, „Doitscha“, „Die jüdische Souffleuse“ geschildert hat.

Mit „Besser allein als in schlechter Gesellschaft – Meine eigensinnige Tante“ ist ihr wieder so ein Wurf gelungen: sehr lustig, sehr traurig, voll Herz und Seele, Klugheit und Wärme. Und am Schluss hat man den Eindruck, man habe diese grandiose Tante Jelka tatsächlich gekannt, derart plastisch und vielfarbig hat ihre Nichte sie literarisch gezeichnet. Ihre enge Verbindung begann, als die jüdischen Eltern von Adriana Altaras aus Zagreb fliehen mussten und die vierjährige Tochter bei Jelka in Italien unterbrachten. Diese wird ihre innigste Vertraute, mehr noch, ihr Lebensmensch. Ob Hochgefühle, Liebeskummer oder allgemeiner Weltschmerz, Jelka weiß Antwort – meist, indem sie nichts sagt, sondern einfach zuhört, Pasta kocht, einen kleinen Badeausflug vorschlägt.

Dieses merkwürdige Sprechen per Skype

In einer faszinierenden Mischung aus Gegenwart und Vergangenheit, aus Ähnlichkeit und Differenz verschränken sich die Biografien der zwei Frauen, die aus völlig anderen Zeiten kommen und sich nicht darum kümmern. Als geübte Theaterfrau hat Adriana Altaras dieses Buch nach dem dialogischen Prinzip komponiert: Mal spricht die Nichte, mal die Tante, immer im Präsens – wie auf der Bühne, wenn ein Ensemble gekonnt polyphon miteinander spielt. Beim Lesen wird man direkt in die Szenen hineingesogen, genießt die unterschiedlichen Arten des Sprechens, ob in der Schöneberger Küche oder in einem Café am Gardasee. Die Worte, die Altaras ihrer Tante in den Mund legt, sind natürlich fiktiv, doch keineswegs falsch, und sie belegen überzeugend die intensive wie aufrichtige Beziehung. „Ich weiß nicht, dieses Skypen ist merkwürdig“, sagt Jelka. „Adriana, ganz verschwommen in einer unmöglichen Bluse. Grün muss man tragen können. Sie hat diesen gelblichen Teint und läuft dennoch in Grasgrün herum. Und die Haare … Sie sieht aus, als wäre eine Matratze geplatzt.“ So geht es munter hin und her, die Frauen halten mit ihren Meinungen nicht hinterm Berg.

Die Zeit freilich können sie nicht austricksen, die Tante wird krank, verwirrt, obwohl die Nichte eigentlich vermutete: „Alle sterben, nur die Tante nicht. Gott hat sie einfach vergessen.“ Zu ihrem 100. Geburtstag kann sie niemand im Pflegeheim besuchen, denn in Europa wütet die Corona-Pandemie. Bleibt nur, miteinander zu telefonieren, was die beiden auch fast täglich tun. Wie früher die Ältere der Jüngeren mit Rat und Tat zur Seite stand, dreht sich dies nun um. Bei Adriana Altaras, der großartigen Erzählerin, liest sich selbst der langsame Abschied ohne Sentimentalität und Larmoyanz, wird mit Empathie, Nonchalance, Witz zelebriert. Das Schwere wird leicht, das Leichte komisch, die Komik absurd. Oder, wie die Nichte ihre Tante, die 101 Jahre alt wurde, so charmant sagen lässt: „Vielleicht habe ich das Leben nicht gemeistert. Aber gelebt habe ich es.“

Adriana Altaras. Besser allein als in schlechter Gesellschaft. Meine eigensinnige Tante. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022, 234 Seiten, 22 Euro