Kolumne

Ferienerinnerung: Sprünge ins Stroh

Auch Zeitungsmenschen hatten einmal eine Kindheit und kannten das Gefühl von endlosen Sommern. Eine Sammlung von Erinnerungen.

Ein bisschen Stroh piekst, viel Stroh kann weich wie eine Sprungmatte sein.
Ein bisschen Stroh piekst, viel Stroh kann weich wie eine Sprungmatte sein.Roshanak Amini für Berliner Zeitung am Wochenende. Bilder: imago

Dort, wo ich in meiner Kindheit viele Sommerferien verbracht habe, stand in den Siebziger- und Achtzigerjahren eine von der LPG aufgegebene Scheune. Anfangs kamen noch manchmal Traktoren mit Anhänger, um eine Ladung Strohballen abzuholen. Irgendwann war den Bauern die Aktion zu aufwendig, Stroh gab es ja jeden Spätsommer neu auf den Feldern. Die Scheune erwies sich als der beste Indoorspielplatz, den man sich denken kann. Auch wenn das Wort Indoorspielplatz damals noch nicht erfunden war.

Mecklenburger Sommer waren früher oft verregnet, in der Scheune waren wir geschützt vor Sturm und Wolkenbruch, hier richteten wir Kinder aus zwei Häusern und sämtliche halbwüchsige Gäste uns häuslich ein. Und wir bewegten uns. Ich war nie sonderlich sportlich, auch wenn ich im Lauf der Jahre in die verschiedensten Vereine gesteckt wurde, aber ich muss in der Kindheit extrem mutig gewesen sein.

Der Jäger im Trabi

Mit meiner Freundin Caro ging ich vorzugsweise nachts zum Badesee, durch den Wald, an dessen Eingang heute ein Schild warnt, „Wolf-Durchstreifgebiet“. Wir schwammen dem Mond entgegen und ließen uns von Wasserpflanzen kitzeln. Angst hatten wir nur vor den Jägern, weshalb wir laut sangen, was immer uns in den Sinn kam. „Rote Lippen soll man küssen“ und „Es steht ein Haus in New Orleans“ und „Auf unsrer Wiese gehet was“. Einmal hielt uns so ein Mann an, der in Tarnfarben gehüllt und mit Hütchen auf dem Kopf in seinem Trabi saß. Seinem Schimpfen schmetterten wir „Auferstanden aus Ruinen“ entgegen, die Nationalhymne, die man zwar damals wegen „einig Vaterland“ schon nicht mehr singen sollte, aber als Mittel gegen Jäger taugte sie.

Von Gefahren sprach niemand

Am schönsten war es in der Scheune, wenn wir dort Schwimmbad spielten. Wir sprangen von hohen Balken in die Tiefe, immer ins Stroh hinein. Je höher und weiter, desto besser. Wir Mädchen kreischten nicht ängstlich, sondern stießen Jubelschreie aus, kletterten anschließend wieder über die halb aufgerissenen Ballen nach oben. Sollten Erwachsene je von Gefahren gesprochen haben, kam es nicht bei mir an. Zwar sehnte ich mich immer nach einem gebrochenen Bein oder Arm, weil ich einen Gips haben und in der Schule vom Sport befreit werden wollte, doch in der Scheune habe ich mir nur die Haare verziept und den roten Wollpullover so mit Strohspelzen verdorben, dass ihn irgendwann nur noch der Hund tragen konnte. Oder bin ich einfach rausgewachsen? Wie aus meinem Mut?