Ukraine-Krieg

Will Putin die Sophienkathedrale in Kiew bombardieren?

Die letzten Tage haben gezeigt: Die russische Armee schreckt nicht vor Angriffen zurück, die Denkmale und Gedenkstätten zerstören können.

Die Sophienkathedrale in Kiew
Die Sophienkathedrale in KiewImago

Ob Wladimir Putin wirklich die Sophienkathedrale, die Kirche der Höchsten Weisheit, in Kiew bombardieren lassen will, kann derzeit weder bestätigt noch verneint werden. Am Mittwoch jedenfalls bat der griechisch-katholische Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk um Hilfe und berief sich dabei auf Geheimdienstinformationen, die sich zuletzt oft als verheerend präzis herausgestellt haben. Und wer mag noch mit Gewissheit bestreiten, dass Putin eine solch „heilige Stätte“ nicht zu zerstören plant? Zumal es sich dabei aus seiner verengten Sicht auf die Geschichte, genug Zynismus vorausgesetzt, durchaus um ein propagandistisch „lohnendes“ Ziel handelt.

Die Ukraine ist auch in religiöser Hinsicht pluralistisch

Die seit dem 11. Jahrhundert gewachsene Kirchen- und Klosteranlage gilt als Gründungsstätte der slawischen Christenheit. Deswegen stehen die bunt-blitzenden Bauten seit 1990 auf der Welterbeliste der Unesco. Darüber hinaus sind sie zu einem wichtigen Symbol ukrainischer Eigenständigkeit geworden, die sich inzwischen auch in religiöser Hinsicht vollzieht: 2018 vereinigten sich beiden ukrainisch-orthodoxen Kirchen und lösten sich vom Moskauer Patriarchat – schon damals drohte Putin mit „blutigen Folgen“. Zunehmend zeigt nun aber auch der das Primat Moskaus akzeptierende Metropolit von Kiew, dass damit keine Anerkennung staatlich-russischer Vorherrschaft verbunden ist: Er rief vor zwei Wochen in der Sophienkathedrale bei einem Treffen mit Vertretern der konkurrierenden ukrainisch-orthodoxen Kirche, der griechisch-katholischen, der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche, von Adventisten, Juden und Muslimen zu einem Ende der russischen Aggression auf. Die Sophienkathedrale, für Putin ein Teil allein der russischen Geschichte, wird damit zu einem Spiegel der sozial offenen und religiös pluralistischen Ukraine.

Dass die russische Armee nicht vor Angriffen zurückschreckt, die auch Denkmale und Gedenkstätten treffen könnten, zeigte sich am Mittwoch, als der Museumsbau für die Gedenkstätte in Babyn Jar in Brand geschossen wurde. Hier wurden an zwei Tagen 1941 mehr als 33.000 Juden von den Deutschen und ihren ukrainischen Helfern ermordet. Die Gedenkstätte ist gerade deswegen zu einem Wahrzeichen auf der Suche des auch die dunkle Seite der Geschichte beleuchtenden nationalen Bewusstseins in der Ukraine geworden. Putin setzt stattdessen auf nationalistischen Heldenkult, wie kürzlich das Verbot der antistalinistischen Erinnerungsforschung durch die Organisation Memorial zeigte.

Auch andere kulturelle Schäden werden in Kauf genommen: Der ukrainische Präsident Selenskyj berichtete, dass schon in den ersten Kriegstagen die nordukrainische Stadt Uman beschossen worden sei. Dort liegt das Grab Rabbi Nachmans, das Ziel einer chassidischen Pilgerfahrt zu jedem jüdischen Neujahr. Die nordwestukrainische Stadt Tschernigow mit ihrer Altstadt und den Kathedralen des Mittelalters wird belagert. Die Kirchen stehen seit 1989 auf der Vorschlagsliste der Ukraine für das Unesco-Welterbe.

Das Museum in dem Ort Iwankiw wurde zerstört, dabei auch mindestens 20 Arbeiten der von der Unesco hervorgehobenen ukrainisch-sowjetischen Bildhauerin Marija Primatschenko. Ferner wurde aus der Nationalbibliothek in Kiew gemeldet, dass verzweifelt versucht wird, eine bedeutende Sammlung von Tonaufnahmen jiddischer Gesänge und Texte zu sichern.

Am Mittwoch hat die Unesco gegen den russischen Überfall protestiert und zur Achtung vor dem kulturellen Erbe der Ukraine aufgerufen. Nicht nur Bauten, auch Bibliotheken und Archive seien zu schützen. Russland hat im Übrigen derzeit den Vorsitz in der Unesco-Welterbe-Kommission und will im Sommer die Sitzung in Kasan abhalten.

Zurückhaltung bei der Unesco-Nominierung

Seit 1990 hat die Unesco nur sechs ukrainische Kulturstätten in die Welterbeliste eingetragen, seit dem Überfall Russlands auf die Krim 2014 keine einzige mehr. Nach Angaben der Unesco hat die Ukraine allerdings seither auch gar keine Stätten mehr nominiert. Dabei zeigen die bisherigen Eintragungen ein erstaunliches Selbstbild: Mit Ausnahme der Kathedrale von Kiew und einer Antiken-Grabung auf der Krim sind durchweg Stätten in der westlichen Ukraine registriert worden: die einst habsburgische Universität der Bukowina, die Altstadt von Lemberg, die ruthenischen Holzkirchen in den Karpaten, die zusammen mit jenen in Polen zum Welterbe wurden. Das Zentralland wie auch die Ostukraine fehlen. Auch stehen alle Nominierungsvorbereitungen, die für das moderne, demokratische und eigenständige Selbstbewusstsein der Ukraine stehen könnten, lediglich auf der Wunschliste der Ukraine: die Paläste der Krim-Chane, die Festungen der Genueser am Schwarzen Meer und die Innenstadt von Odessa, die ihre lange Westbindung dokumentieren, selbst die Gedenkstätte für den Nationaldichter Taras Schewtschenko. Aufgeschoben wurde von der stark auf russische Reaktionen schielenden Vor-Selenskyj-Ukraine die Nominierung aller Stätten, die für eine moderne Ukraine sprechen könnten, etwa die Sternwarten von Mikolaijew, Kiew und Odessa oder ein funktionalistischer Büropalast in Charkiw.

Wie zentral die Welterbepolitik dagegen von Russland auch als Teil einer revisionistischen Geschichtspolitik betrieben wird, zeigen seine beiden jüngsten erfolgreichen Nominierungen: 2017 gelangen mit der Klosterstadt Swijaschsk und 2019 mit den Kirchen von Pskov Eintragungen, die historisch für die Unterwerfung der Tataren durch das Moskauer Großfürstentum und die imperiale Ausweitung der Orthodoxie ins mittelalterliche Baltikum stehen.